Unterschleißheim:Na dann Prost

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Mario Hanel und Timm Schnigula betrachten Craft Beer als Kulturgut und Ausdruck der Kreativität. Ihre Brauerei in Unterschleißheim wächst schnell. Jetzt planen sie eine Art Bar in dem Gebäude

Von Benjamin Köster, Unterschleißheim

Es gibt sicherlich Menschen, die es als Wahnsinn bezeichnen würden, in der Region München, im Kernland des deutschen Biergenusses, zwischen unzähligen Hellen und Weißbieren, ein weiteres Bier auf den Markt zu bringen. So gesehen hätte man Mario Hanel und Timm Schnigula wohl als verrückt bezeichnen müssen, als sie ihre gut bezahlten Jobs als Unternehmensberater kündigten, sich einen winzigen Braukessel kauften und in Hanels WG-Küche ihr erstes Bier aufsetzten. Vier Jahre ist das nun her. Heute erhebt sich vor dem monotonen Hintergrundrauschen der A 92, die knapp an Unterschleißheim vorbeiführt, zwischen Hundeschule und einsamem Strommasten, ihre eigene Brauerei Crew Republic. Unscheinbar, bis auf die drei Fahnen mit dem Firmenlogo, der Handgranate in Hopfenform, die sich unbeugsam gegen den nasskalten Januarwind stemmen.

Zwei, die sich einen Lebenstraum erfüllt haben: Mario Hanel und Timm Schnigula (rechts) stehen zwischen den Kesseln in ihrer Brauerei Crew Republic. (Foto: Catherina Hess)

Unbeugsam mussten auch die Gründer in ihrer Anfangszeit sein. Denn die beiden brauen kein 08/15-Bier für den Massengeschmack, sondern Craft Beer, das vor vier Jahren in Deutschland noch nahezu unbekannt war. Als Craft Beer bezeichnet man Bier, das von kleinen Brauereien oder im Heimbetrieb, handwerklich und unabhängig von großen Konzernen, hergestellt wird. Vor allem aber unterscheidet sich Craft Beer im Geschmack. Während normale Biere in den Augen der Craft-Beer-Spezialisten grundsätzlich recht ähnlich schmecken, gibt es beim Craft Beer eine große Geschmacksvielfalt. Grund dafür ist, neben der Experimentierfreude und Kreativität der Brauer, die Art des Brauens. Anders als im normalen Brauverfahren wird der Hopfen nicht nur genutzt, um dem Bier eine bittere Note zu geben. Stattdessen wird bei der Lagerung, wenn das Bier an sich schon fertig ist, erneut Hopfen hinzugegeben. Auf diese schonende Art gibt der Hopfen seine Öle ab - und das Bier bekommt so ein Aroma von Blaubeeren, Zitrusfrüchten oder gar Baumharz. Besonders in den USA ist Craft Beer seit Jahrzehnten beliebt, Schnigula und Hanel haben es kennengelernt, als sie beruflich in der Welt unterwegs waren. Heute wächst die Craft-Beer-Szene auch in Deutschland.

Craft Beer bietet eine Fülle an überraschenden Aromen an, die von der Verarbeitung des Hopfens im Brauprozess abhängen. (Foto: Catherina Hess)

"Der Deutsche glaubt ja immer, er wisse alles über Bier", meint Schnigula. "Aber eigentlich hat er keine Ahnung", sagt er und lacht. Für die beiden ist es unverständlich, dass die meisten Bierkonsumenten in Deutschland einen so konservativen Geschmack pflegen, obwohl aus den immer gleichen vier Zutaten Gerstenmalz, Hopfen, Hefe und Wasser so viel mehr rauszuholen sei. "Alles gleicht sich im Einheitsgeschmack an", erklärt Hanel, "die Markenloyalität nimmt ab, weil alles so ähnlich schmeckt. Deutsche kaufen heute nach Angebot - was gerade im Supermarkt billig ist, wird eingepackt." Ihr Bier müsse nicht jedem schmecken, sagt Hanel. Die beiden Jungunternehmer wollen zeigen, was mit Bier, abseits der gängigen Geschmäcker, möglich ist. "Wir haben uns da selbst einen Erziehungsauftrag auferlegt", so Hanel.

Die neue Art des Bierbrauens findet es immer mehr Liebhaber. (Foto: Catherina Hess)

Und die Erziehung funktioniert offenbar. Die Verkaufszahlen steigen, im vergangenen Jahr hat Crew Republic etwa 5000 Hektoliter Bier abgesetzt. Mittlerweile bekommt man ihre zehn Biersorten in diversen Münchner Bars und Geschäften. Vor allem aber verkaufen sie ihr Produkt über den Webshop auf der Homepage ihrer Brauerei, teilweise sogar bis nach Japan. Seit einem Jahr brauen die beiden in dem Gebäude einer ehemaligen Oldtimer-Handlung ihr Bier und wollen jetzt bereits anbauen - neue Lagertanks müssen her. Außerdem sollen zu den aktuell fünf Mitarbeitern noch weitere fünf dazukommen. Zudem entsteht mitten in der Brauerei eine kleine Bar, in der man die verschiedenen Sorten ausprobieren kann - noch so eine Idee, die die beiden aus der Heimat des Craft Beer importiert haben. "Wir wollen eine offene Brauerei sein", sagt Hanel.

Offenheit ist es auch, durch die sich die gesamte Craft-Beer-Szene auszeichnet. Durch zahlreiche Events in der gesamten Bundesrepublik kennt man sich untereinander und ist sich wohlgesonnen. Vermutlich ist es die einzige Industrie, in der man sich aufrichtig über weitere Konkurrenten, weitere Geschmacksrichtungen, weitere Kreativität freut. "Das ist tatsächlich etwas anti-ökonomisch", findet Hanel. Aber genau darum gehe es auch beim Craft Beer: eine gemeinsame Kultur, ein gemeinsames Lebensgefühl.

Ein Lebensgefühl, das möglicherweise in Gefahr gerät? Craft Beer wird immer beliebter und rückt damit auch langsam ins Blickfeld der großen Getränkekonzerne. Was also tun, wenn in fünf Jahren ein Branchenriese ein Angebot für die Brauerei machen sollte? Verkaufen und das schnelle Geld machen? "Auf keinen Fall", bricht es aus Hanel noch vor Beendigung der Frage heraus. Wer ergründen will, warum diese Antwort trotz aller Widrigkeiten und Anstrengungen, die mit einer Brauereigründung einhergehen, so schnell und sicher daher kommt, muss einen Blick zurück wagen. Im Jahr 2013, als in dem Gebäude am Unterschleißheimer Stadtrand längst noch keine Braukessel zischten, erzählten die beiden einem Branchenmagazin von ihrem großen Traum: endlich eine eigene Brauerei besitzen. Diesen Traum haben sich Mario Hanel und Timm Schnigula vorerst erfüllt. Ausgeträumt ist er aber noch lange nicht.

© SZ vom 16.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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