Unterschleißheim:Mathematiker und Mäzen

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Alles bleibt in Familienhand: Gerhard Kratzer (rechts) hat seine Tochter Sibylle Pessall in die Geschäftsführung aufgenommen. (Foto: Stephan Rumpf)

Mit Automation ist die Firma des kunstsinnigen Gerhard Kratzer groß geworden

Von Alexandra Vettori, Unterschleißheim

Jetzt hängen wieder neue Bilder in der Wohlfühl-Lounge des Software-Entwicklers Kratzer Automation. Zum fünften Mal hat die Firma gerade ihren mit 5000 Euro dotierten Kunstpreis verliehen, heuer ging er an Jean-Marie Heyligen, einen Künstler der Outsider Art aus Belgien. Die lichten, leichten Fabelwesen, bunten Meerjungfrauen und kindlich rundköpfigen Frauen machen sich ganz hervorragend in dem schicken Gemeinschaftsbereich der Firmenniederlassung im Unterschleißheimer Gewerbegebiet. Entspannung vom Computerarbeitsplatz versprechen sie den Mitarbeitern, wie das gesamte Ambiente aus Licht, Grün, viel hellem Holz und wenig Metall, gemütlicher Couch, Hocker und verteilten Tischgruppen.

Jedes Jahr sind die Werke des neuen Kunstpreisträgers ein Gesprächsthema, zumindest in den ersten Wochen, erzählt Firmenchef Gerhard Kratzer. Dass sich manch einer auch daran reibe, sei gewollt. Gerade die Kunst von Menschen mit Behinderungen und ihr oft sehr sinnlicher Ausdruck berühre die Betrachter. "Das ist ein toller Nebeneffekt, weg von der doch sehr technisch orientierten Arbeit hier", sagt Kratzer.

Immerhin: Die Ausstellung davor ist fast zur Hälfte verkauft worden, vor allem an Mitarbeiter. Aus deren Reihen ist vor zehn Jahren auch der Anstoß gekommen, die vielen weißen Wände der Büros mit wechselnden Ausstellungen zu zieren. Von Anfang an arbeitete man dabei eng mit den Heilpädagogischen Werkstätten in Oberschleißheim zusammen. Der dortige Leiter der Künstlerwerkstatt habe europaweit Kontakte, erzählt Kratzer, entsprechend international ist die Riege der Preisträger.

Als Gerhard Kratzer 1980 zusammen mit zwei Teilhabern die Firma gründete, hatte er in keiner Weise daran gedacht, Kunstmäzen zu werden. Auch als Aufsichtsratsvorsitzenden einer 300-Mitarbeiter- Firma mit vier deutschen Niederlassungen und eigenen Gesellschaften in Frankreich, Großbritannien, Tschechien und China sah er sich anfangs nicht. Eigentlich hätten seine Eltern gerne gesehen, dass er Karriere in einer Bank macht, erinnert sich der Firmenchef. Doch Kratzer entschied sich damals für ein Mathematik-Studium, über das er in den Siebzigerjahren in Berührung mit Computern kam. Kratzer arbeitete bei Siemens, war bei der Olympiade in München Fachbereichsleiter IT-Technik und später als Projektmanager bei Digital Equipment (DEC). Doch es zog ihn in die Selbständigkeit. Und weil sich Kratzer schon immer für Software, die Maschinen bewegt, am meisten interessierte, bot seine Firma als erstes prozessnahe Software-Lösungen an.

Das tut man heute immer noch, allerdings inzwischen individuell auf den Kunden zugeschnürte Gesamtpakete, Hardware und Support inklusive. Die Kundschaft kommt aus der internationalen Automobilindustrie und der europäischen Transportbranche. In den Neunzigerjahren begann sich die Firma vom Software-Unternehmen zum Generalanbieter zu wandeln, drei Geschäftsbereiche wurden geschaffen, Test-Systems, Industrial Automation und Logistics Automation. Heute zählt Kratzer in den Sparten Test-Systems und Logistics Automation europaweit zu den wichtigsten Anbietern, bei Turboladerprüfständen und Transport-Management-Systemen ist man sogar Marktführer. Vor zwei Jahren erhielt das Unternehmen den Großen Preis des Mittelstands, Deutschlands wichtigsten Wirtschaftspreis.

Im Geschäftsfeld Test Systems plant und baut man Prüfsysteme für die Autoentwicklung, vorzugsweise für Motoren, Turbolader, Getriebe. Der Fokus liegt auf Testsystemen für energiesparende und umweltfreundliche Antriebskonzepte, vor allem Hybrid- oder Elektroantriebe, Batterie- und Brennstoffzellentechnik. Mit Cadis liefert die Firma im Geschäftsfeld Logistics Automation ein Transport Management System, das alle operativen Prozesse im Frachtgütertransport plant, durchführt und analysiert, Sendungen verfolgt und die Abläufe optimiert. "Das Prinzip", erklärt Robert Rubner, seit 30 Jahren in der Firma und inzwischen Vorstandsvorsitzender, "ist einfach: schnell, preisgünstig, flexibel." Die Lösung liege in der Software, das Ziel: Serviceeffizienz. "Die Software muss ohne Menschen umplanen können", sagt Rubner. Der Trend gehe zur Lieferung am Tag der Bestellung. Drohnen sind nach seiner Meinung dabei nicht das Verkehrsmittel der Zukunft. "Das wird eine Nische bleiben", ist er überzeugt. "Der Verkehr bleibt auf der Straße oder der Bahn."

Das klassische Mittelstandsproblem, die Nachfolgeregelung, hat man bei Kratzer schon gelöst. 1999 überführten die Inhaber die GmbH in eine "Familien-AG", an der Mitarbeiter, Führungskräfte und Familienmitglieder beteiligt sind. Seit 2009 gehört auch Kratzers Tochter Sibylle Pessall zur Geschäftsführung. Schritt für Schritt übernahm sie Verantwortung für Finanzen, Personal, Infrastruktur, IT und Prozessorganisation. Auch sie hat, entgegen dem Rat ihres Vaters Mathematik studiert, dann aber festgestellt, dass ihr die bloße Zahlenwelt nicht genügt. Sie betont, wie spannend es sei, "jetzt in relativ jungen Jahren dort Verantwortung zu übernehmen, wo ich praktisch mit aufgewaschen bin".

Wie es weiter geht? Dazu gibt es bei Kratzer Automation eine klare Ansage. Die Geschäfte mit dem Ausland würden weiter intensiviert. Gerade hat man eine Dependance in den USA gegründet. Auch den riesigen Transportsektor in China haben die Unterschleißheimer im Visier. Derzeit liegt die Exportrate bei 30 Prozent. Das soll deutlich mehr werden.

© SZ vom 17.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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