Unterschleißheim:Kein Ende im Gelände

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Im Naturschutzgebiet "Südliche Fröttmaninger Heide" gilt ein komplexes Regelwerk. Ein Spaziergang mit Naturschützer und Anwohnerin zeigt, wie tief die Gräben sind

Von Stefan Mühleisen, Unterschleißheim

Schon nach wenigen Metern kommen die ersten Verordnungs-Ignorierer des Wegs. Der eine radelt, der andere läuft daneben her. Entspannt lenkt ein junger Mann sein Fahrrad auf dem Schotter dahin, die Hundeleine locker um den Hals gelegt. Sein Hund, ein vergnügter Terrier, untersucht munter die Büsche neben dem Weg am Südrand der Fröttmaninger Heide. "Den müsste man jetzt fragen, ob er einen Hundeführerschein hat", kommentiert Hanna Kokorsch mit sarkastischem Unterton. Christian Hierneis schaut dem Hund und seinem Herrchen nach und bemüht sich, seine aufkeimende Gereiztheit zu unterdrücken. "Es geht nicht darum, die Leute zu gängeln. Aber wenn sich nur zehn Prozent der Menschen nicht an die Vorgaben halten, hat es keinen Sinn."

Der Hundeführerschein, die Vorgaben - und die Sinnfrage: Die beiden brauchen nur wenige Meter vom Heidehaus des Heideflächenvereins Münchner Norden mit Sitz in Unterschleißheim am Fröttmaninger U-Bahnhof nach Westen zu gehen, schon sprießen die Vokabeln des Unfriedens, die in dieser so friedlichen Landschaft seit langem wuchern. Seit drei Monaten gilt die südliche Fröttmaninger Heide, ein 347 Hektar großes Gebiet zwischen nördlichem Stadtrand und Autobahn A 99, als Naturschutzgebiet - nach fast vier Jahren erbitterten Streits darüber, wie und ob diese Verordnung kommen soll. Und jetzt?

Die SZ hat zwei Vertreter der Kontrahenten zum Spaziergang durch die Heide gebeten, um der Stimmungslage nachzuspüren: Christian Hierneis, Vorsitzender der Kreisgruppe München des Bundes Naturschutz (BN), und Hanna Kokorsch, Sprecherin der Anwohnerinitiative Interessengemeinschaft (IG) Heide. Beide waren und sind Protagonisten im ewigen Hin und Her, was in der Heide, die von unzähligen Erholungssuchenden aus Stadt und Landkreis München besucht wird, erlaubt oder verboten sein soll. Sie sollen darüber sprechen, wie es weiter geht, nachdem die umstrittenen Pflöcke mit der geltenden Verordnung eingerammt sind. Es stellt sich heraus: Der Ärger ist nicht verflogen, er schwelt im Stillen weiter. Hierneis und Kokorsch gehen beim Stapfen durch die Heide zwar freundlich miteinander um, reichen sich die Hände. Doch im Gespräch brechen die alten Gräben immer wieder auf.

Hanna Kokorsch und Christian Hierneis sind zwei Protagonisten im ewigen Hin und Her, was in der Fröttmaninger Heide erlaubt oder verboten sein soll. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Frontlinien verlaufen folgendermaßen: Die Fröttmaninger Heide, ein ehemaliger Truppenübungsplatz, gilt als einzigartige Biotop-Fläche, sie soll per Naturschutz-Verordnung geschützt werden. Darauf konnten sich vor fast vier Jahren, als ein moderierter Dialogprozess startete, alle einigen. Doch dann ging der Zoff los. Der Kernkonflikt: Soll mehr Naherholung erlaubt oder mehr Naturschutz gewagt werden? Die Anwohner der Freimanner Siedlungen pochten auf genügend Auslaufmöglichkeiten für sie - und nicht zuletzt: für ihre Hunde. Die Naturschützer hielten dagegen, dass die sensible Tier- und Pflanzenwelt vor Menschen - und nicht zuletzt: vor Hunden - geschützt werden muss.

Das Ergebnis: Die Heide ist nun in ein Raster aus Zonen mit verschiedenen Vorschriften eingeteilt: In manche dürfen das ganze Jahr weder Herrchen noch Hund hinein ("Schutzzonen"), andere stehen Gassi-Gehern außer in den Vogelbrutzeiten ("Zone für das Heideerleben", "Umweltbildungszone") oder ganzjährig ("Zone für das freie Betreten") offen. Auf allen Wegen sind Hunde erlaubt, die jedoch an die kurze Leine zu nehmen sind. Wer in der erlaubten Zone sein Zamperl frei laufen lässt, muss einen Hundeführerschein vorweisen können. Eine salomonische Lösung? Nicht für viele Anwohner, wie Kokorsch schon mit dem gequälten Gebrauch des Wortes "Hundeführerschein" nahe legt. "Wir fühlen uns gegängelt", fasst sie die Gefühlslage der Freimanner zusammen. Denn die empfänden es als Zumutung, quasi unter Aufsicht von Kontrolleuren zu stehen. Sie deutet hinüber zur Gruson-Siedlung, wo die Bewohner aus den Fenstern auf einen Schutzzonen-Streifen blicken. Die Leute, sagt Kokorsch, wohnten direkt an der Heide, dürften sie aber dort nicht betreten.

Hierneis ist anzumerken, dass er diese Einwürfe kennt - und dass sie seine Geduld strapazieren. Der BN akzeptierte nur mit Bauchschmerzen das Kompromiss-Papier, es war ihm nicht strikt genug. Der Verband hatte eine Klage dagegen erwogen, dies aber wegen geringer Aussicht auf Erfolg verworfen. "Es geht nicht darum, die Natur um ihrer selbst willen zu schützen", sagt der Kreisvorsitzende. "Wir wollen niemanden schikanieren, sondern die Leute aufklären, was Naturschutz bedeutet."

Irgendwo hinter dem hohen Gras bellt ein Hund, wieder so ein Verordnungs-Ignorierer. Hierneis schaut wie einer, der machtlos das Treiben eines ungezogenen Bengels tolerieren muss. "Wir sind keine Hundefeinde", beteuert er. Doch sie störten die Wildtiere, ihr Kot belaste den sensiblen Magerrasen. "Wir wollen keine Ranger, die Hundehalter abführen. Doch sie sollen die Heide-Besucher aufklären." Auch Kokorsch zwingt sich wie Hierneis zum gleichmütigen Zuhören. Doch der Ton ihrer Stimme verrät den Verdruss über das Regelwerk. Beide haben sich jetzt warm geredet; es geht Schlag auf Schlag. Kokorsch: "Die Menschen wollen ihren Feierabend genießen. Und nicht permanent von Naturschutzwächtern angesprochen werden." Hierneis: "Man braucht Regeln und auch Strafen, damit sich die Menschen daran halten." Kokorsch: "Die Leute fühlen sich drangsaliert, man soll sie nicht dazu zwingen."

Eine Joggerin trabt jetzt vorbei, sie biegt vom Weg ab, querfeldein, Richtung Schutz-Zone. Hierneis: "Sehen Sie, wenn das jeder macht, ist die Natur bald im Eimer, so wie in den Isarauen." Kokorsch: "Aber wir sind hier am Siedlungsrand. Es kann keiner verstehen, warum hier nicht mal Kinder im Winter einen Schneemann bauen dürfen."

Zurück beim Heidehaus reichen sie sich die Hände und versichern jeweils, keine Gegner zu sein, man wolle das Gleiche: die Heide erhalten. Es ist die Geste der Exponenten zweier Lager, die versuchen, mit einem Diktatfrieden umzugehen. Und wie soll es nun weitergehen? Achselzucken. Kokorsch deutet auf eine Stange mit Verbots-Hinweisen und zeigt, was einige von der Aufklärung und von der Bußgeld-Androhung halten. Jemand hat den Plastik-Schuber für die Info-Flyer zum Naturschutz abgerissen. "Ich distanziere mich von Vandalismus", sagt sie. "Aber es zeigt deutlich, dass die Leute das nicht annehmen."

© SZ vom 20.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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