Unterschleißheim:"Ich kann einfach gut Menschen beobachten"

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Die Unterschleißheimer Schülerin Sanja Miloš stellt die fiktive Fluchtgeschichte eines Mädchens aus Somalia in den Mittelpunkt ihres ersten Buchs, das aus einem Schulprojekt heraus entstanden ist. Mit dem Erlös aus dem Verkauf will sie Betroffenen helfen

Interview von Anna Reuß, Unterschleißheim

Sanja Miloš besucht die Integrative Montessori Schule in München. Schon mit 13 Jahren hat sie sich einen kleinen Traum erfüllt und ihr erstes Buch veröffentlicht. In ihrem Roman beschreibt sie auf gut 130 Seiten, wie ein Mädchen, das wie sie selbst 13 Jahre alt ist, zusammen mit seinem Vater und seiner Schwester von Afrika nach Europa flüchtet. Von den Einnahmen aus dem Verkauf des Buchs will die Unterschleißheimerin einen Teil spenden und Kindern in Afrika damit eine bessere Bildung ermöglichen.

SZ: Sanja, wie würdest du den Inhalt deines Buches zusammenfassen?

Sanja Miloš: Es geht um ein Mädchen aus Somalia. Anfangs erfährt man, sie ist angekommen in Deutschland. Schließlich erzählt sie ihrem Psychologen von ihrer Flucht. Das Buch hat aber ein Happy End, das war mir wichtig.

Wieso hast du ausgerechnet Somalia als Ausgangspunkt ihrer Flucht gewählt?

Da ich mir alles ausgedacht habe, musste ich darauf achten, dass die Handlung in sich logisch ist. Also habe ich mir eine Weltkarte angeschaut. Ich wollte, dass sie über das Wasser reisen muss, weil das auch psychisch eine Belastung ist. Stell dir vor, du hast nur Wasser um dich herum und du weißt eigentlich gar nicht, wohin du fährst. So konnte ich auch somalische Piraten in die Geschichte einbauen.

Wie kamst du auf die Idee, ein Buch zu schreiben?

Ich bin an einer Montessori-Schule. Dort muss man am Anfang der achten Klasse überlegen, was man als sogenannte große Arbeit machen will. Das war 2016. Mein Interesse an Sprache war schon immer da und ich dachte, das Thema passt gut in den aktuellen Kontext.

Sprecht ihr in der Schule über Migration und Flucht?

Wir sprechen momentan zum Beispiel über Parteien und was die dazu sagen und ich habe eben gehört, dass gerade ziemlich viele Leute zu uns kommen und habe mir gedacht, da muss ich was tun.

Sanja Miloš, 13, lebt in Unterschleißheim. Sie geht in die neunte Klasse einer Montessori-Schule in München. Ihr Buch schrieb sie im Rahmen ihrer Projektarbeit über einen Zeitraum von sechs Monaten. (Foto: Florian Peljak)

Was haben deine Eltern dazu gesagt?

Am Anfang waren sie überrascht, glaube ich. Aber sie wollten mich unterstützen und fanden die Idee gut. Mein Vater hat mir geholfen, den Druck zu organisieren.

Hast du oder deine Familie selbst Erfahrung mit Flucht?

Ich bin hier aufgewachsen und geboren. Wir haben aber Verwandte in Kroatien, die vom Jugoslawienkrieg direkt betroffen waren.

Kann sich jemand, der in uneingeschränkter Freiheit aufwächst, überhaupt in jemanden hineinversetzen, der aus der Heimat flüchten muss?

Ich denke schon. Es gehört natürlich ein gewisser Ehrgeiz dazu. Man spielt viel mit der Fantasie und damit, was man in den letzten Wochen und Monaten aufgeschnappt hat. Ich wollte die Themen, die um Flucht herumschwirren, einfangen. Natürlich kann ich nicht alles haargenau erzählen, weil ich mit keinem Flüchtling gesprochen habe. Aber man muss die Kunst erlernen, sich Gerüche und Geräusche vorzustellen und dann kommt das ganz von selbst.

Du schilderst häufig die Gedanken der Hauptperson während ihrer Flucht. Wie genau kamen dir die Ideen?

Das Schreiben ist für mich wie eine kleine Seifenblase. Da bin ich ganz in meiner Welt und es kommt einfach automatisch. Ich denke, ich kann einfach gut Menschen beobachten. Der Rest ist Übungssache. Begrenzt hat mich nur mein eigener Horizont.

Hast du recherchiert, um dich in das Thema einzuarbeiten?

Im Grunde ist die ganze Geschichte in meinem Kopf entstanden. Recherchiert habe ich nur, was die Gefahren auf der Flucht sind oder wie der Ort aussieht. Anfangs wollte ich Interviews mit Flüchtlingen führen, aber nachdem ich ein paar Seiten geschrieben habe, wurde mir klar, dass die Herausforderung für mich interessanter ist, wenn ich alles in meinem Kopf entstehen lasse. Ich wollte auch nicht, dass die Menschen über eine reale Person urteilen.

Warum hast du so ein trauriges Thema gewählt? Du hättest ja auch über ein Mädchen und ihren Berufswunsch Astronautin schreiben können.

Wenn ich sehe, wie Menschen an so etwas kaputtgehen, löst das eine gewisse Traurigkeit in mir aus. Ich habe die Chance genutzt, um etwas zu bewirken.

Dein Buch kann man kaufen und damit Gutes tun.

Genau, den Gewinn aus dem Verkauf meiner Bücher spende ich an den Verein "Friends Without Borders". Die Mitglieder des Vereins helfen Menschen in Ghana und versuchen, Fluchtursachen vor Ort zu verhindern. Am Anfang wollte ich damit vor allem Menschen erreichen, die vorschnell über Leute in Not urteilen, und sehen, welche Probleme mit so einer Flucht verbunden sind.

Das ist auch gerade vor der Wahl am Sonntag sehr aktuell. Wie glaubst du, erreicht man solche Leute?

Ich glaube, wenn Leute in der Zeitung über mein Buch lesen oder an der Buchhandlung vorbeigehen, dann kriegen viele das auch unterschwellig mit.

Du darfst noch nicht wählen, interessierst du dich trotzdem für Politik?

Für Politik interessiere ich mich nicht wirklich. Aber ich versuche einzufangen, was gerade in der Welt passiert. Wir machen auch Junior-Wahlen in meiner Schule.

Dein Buch handelt auf vielen Seiten von der Flucht an sich. Warum hast du dich so entschieden?

Es ist schon wichtig, was die Leute in Deutschland erwartet, aber am wichtigsten ist immer noch, was sie auf sich nehmen, um her zu kommen. Ich will, dass andere das verstehen.

Warum nimmt das Zurücklassen eines geliebten Menschen so viel Raum in deiner Geschichte ein?

Soziale Kontakte sind für Menschen überlebenswichtig. Ich wollte noch einmal deutlich zeigen, wen und was man hinter sich lässt, wenn man aus seiner Heimat flüchtet. Und ich wollte auch ein paar Gefühle transportieren, weil das im Leser etwas auslösen kann.

Wie stellst du dir deinen Leser vor?

Interessiert, neugierig und darauf aus, Neues zu lernen. Ich hoffe, dass sie klüger aus dem Buch werden wollen. Ein großes Ziel ist, dass auch ein paar Leute mit einer negativen Meinung über Flüchtlinge mein Buch lesen und vielleicht ihre Meinung ändern.

© SZ vom 22.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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