Unterschleißheim:Die Arche ist voll

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Alle Pinguine sind gleich. Oder etwa doch nicht? Diese Frage stellt das Oberstufentheater des Carl-Orff-Gymnasiums Unterschleißheim seinem Publikum. (Foto: Lukas Barth)

Unterschleißheimer Gymnasiasten vermengen Jelineks "Die Schutzbefohlenen" und ein Kinderbuch zu einem neuen Stück - das ist mal lustig, mal bedrückend

Von Irmengard Gnau, Unterschleißheim

Lässt sich ein Stück von Elfriede Jelinek mit einem Kinderbuch zusammenbringen? Jelinek, deren Texte ungeschminkt und oft schonungslos den Finger in die Wunden unserer Gesellschaft legen, auf der Bühne mit der heiter-verkleideten Geschichte der Arche Noah, angelehnt an das Kinderbuch "An der Arche um acht"? Die Theatergruppe des Carl-Orff-Gymnasiums Unterschleißheim beweist in ihrer Inszenierung, dass es geht. Und bringt das beeindruckte Publikum zum Lachen, ebenso wie zum Schlucken.

"Alle Pinguine sind gleich" heißt die "ernst-heitere Reise ins Unerträgliche", auf welche die jugendlichen Schauspieler und ihr Leiter Michael Blum die rund 200 Zuschauer im Jugendzentrum "Gleis 1" mitnehmen. Possierlich ist sie anzusehen, die Pinguingruppe mit Schnabelmasken und schwarzen Fräcken, die sich auf der Bühne tummelt. Doch sie dürfen sich nicht lange in Frieden wiegen - schon bricht die Realität in Person einer dicken weißen Taube in ihr Idyll und überbringt die Botschaft, Gott plane eine Sintflut. Zwei Pinguine, das ist die gute Nachricht, bekommen ein Ticket für die Arche Noah und haben Aussicht auf Rettung. Für den dritten allerdings ist kein Platz mehr, sorry.

Alle Pinguine sind doch gleich. Wer also bestimmt, wer durchkommt, wer gerettet wird? Die Pinguine, die Menschen, Gott? Wer entscheidet, der Vergleich drängt sich auf, wer noch hineindarf in die Festung Europa und wer nicht? Wer legal ist und wer illegal? Wer ergo auf der Arche mitfahren darf und wen man dalassen könnte? Die Dinosaurier vielleicht? Oder die Deutschen?

Die Schauspieler haben sich intensiv mit den Fragen von Flucht und Heimatverlust beschäftigt, haben im Vorfeld junge Flüchtlinge befragt und Fluchtgeschichten in ihren eigenen Familien entdeckt. Diese Vorarbeit scheint auch auf der Bühne durch, verleiht den teils choral gesprochenen Textpassagen Nachdruck. So entspinnt sich, unterstützt von der mal wehmütigen, mal perlenden Musik, inmitten von Koffern eine Gratwanderung zwischen slapstickhaften Tierparodien, den beißend-komischen Wortspielen des Musikkabarettisten Bodo Wartke und Anklagen aus Jelineks "Die Schutzbefohlenen".

"Hauptsache, wir leben, viel mehr ist es auch nicht", heißt es da - diese Erfahrung machen auch die Pinguine, als sie ganz unten im Bauch der Arche gelandet sind. Ohne die Chance, Auskünfte zu bekommen oder ihre Zukunft selbst bestimmen zu können zwar, aber schließlich könnten sie doch froh sein, dass sie überhaupt einen Platz bekommen hätten, erinnert sie die Taube. Die schon da sind, reagieren misstrauisch auf die Neuankömmlinge. "Heute wollen sie Decken, was wollen sie morgen?", wird da gemosert. "Unsere Geldanlage in der Schweiz?" Dieser Lacher bleibt manchem Zuschauer im Halse stecken.

Die Flüchtlinge aus den verschiedenen Generationen kommen selbst zu Wort, in kurzen Filmeinspielern oder durch die Bühnenfiguren. In knappen Sätzen ohne übertriebene Dramatik erfährt das Publikum verschiedene Geschichten. Die des jungen Mannes, der aus Afghanistan floh, die der Mutter, die die politische Bevormundung in der Tschechoslowakei nicht mehr aushielt, die des DDR-Flüchtlings, die des Großvaters aus dem Sudetenland, der im Flüchtlingslager unterkam. Jede Geschichte eine persönliche Erfahrung, jede auf ihre Art bedrückend. Dass dem Publikum die Fluchtidentitäten nahegehen, ist spürbar, dass auf der Bühne noch einmal explizit darauf hingewiesen wird, dass die Geschichten wahre sind, wäre wohl nicht nötig gewesen.

© SZ vom 31.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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