Unterschleißheim:Aus der Bauernstube in die Dunkelkammer

Lesezeit: 4 min

Stephan Bachter will als Leiter das Stadtmuseum in die Moderne führen und setzt auf Neuheiten wie einen Raum der Sinne, in dem die Besucher fühlen, aber nicht sehen. Er plant, das Inventar neu zu ordnen und auf die Bürger zuzugehen

Von Gudrun Passarge

An der Wand hängt ein Autoscheinwerfer, der um 1900 herum den Weg beleuchtet haben dürfte, gegenüber auf einem Bild an der Wand lächelt Pfarrer Josef Sauer, der von 1946 bis 1979 als Seelsorger in Lohhof tätig war. Dazwischen finden sich Bilder von Moorlandschaften, ein schön bemaltes Holzbett, ein Modell des alten Unterschleißheim, ein Dreschschlitten und etliches mehr. Es gibt viel zu entdecken im Unterschleißheimer Stadtmuseum, vielleicht zu viel. Die Exponate drängen sich dicht an dicht. Das wird sich bald ändern, sagt der neue Leiter Stephan Bachter. Er plant eine zeitgemäßere Präsentation und klare Schwerpunkte. Und er will das Museum öffnen: "Rausgehen und auf die Stadtgesellschaft zugehen, das ist mir ganz wichtig."

Bachter hat 2017 mit der Inventarisierung des Museumsdepots in Unterschleißheim begonnen. Als die Leitungsstelle im Sommer 2018 frei wurde, hat er zugeschlagen. Der 51-Jährige ist promovierter Volkskundler und hat sich schon mit den unterschiedlichsten Dingen beschäftigt. An der Uni forschte er über Bräuche in Bayern und Magie und Aberglaube. Später war er freiberuflich tätig und nahm Aufträge an. So etwa von der Stadt Waldkraiburg, die Geschichte der Vertriebenen zu dokumentieren. Und zum 500. Geburtstag der Ordensgründerin Theresa von Avilar hat er eine Wanderausstellung im Auftrag der Karmeliter konzipiert. Schließlich listete er im Augsburger Maximilianmuseum den Spielzeugbestand auf. "Ich habe jedes Tellerchen und jedes Schüsselchen aus den Puppenküchen inventarisiert." So mag es auch kein Zufall sein, dass er in Unterschleißheim vor Weihnachten eine Spielzeugausstellung plant. Möglich wird das durch die Schenkung einer Unterschleißheimer Sammlerin.

Im Unterschleißheimer Stadtmuseum hängen die Exponate dicht an dicht. (Foto: Catherina Hess)

Dadurch könnte er viele Kinder mit ihren Eltern ins Museum locken. Das zeigt schon den Weg an, den Bachter beschreiten will. "Das Museum soll ein Angebot für alle sein. Für Familien, für fortgeschrittene Gymnasiasten, für Leute, die neu zugezogen sind und die hier arbeiten." Nach seiner Ansicht sei es die Aufgabe eines Museums, "Anregungen zu Diskussionen und Auseinandersetzungen mit Geschichte und Kunstgeschichte zu geben". Er lobt seine Vorgänger für die Sammelleidenschaft und das Herzblut, das sie ins Museum gesteckt haben, doch er sieht die Zukunft des Museums eher auf dem modernsten Stand der Museumsgestaltung und mit klarerer Zielsetzung und professioneller Umsetzung. Deswegen werden er und seine Kollegin, die Museologin Anna Strübel, auch die Hilfe von Fachleuten in Anspruch nehmen.

Bachter hat 2017 mit der Inventarisierung des Museumsdepots in Unterschleißheim begonnen. Als die Leitungsstelle im Sommer 2018 frei wurde, hat er zugeschlagen. (Foto: Catherina Hess)

Allein schon die räumlichen Voraussetzungen dürften eine Herausforderung darstellen. Das Stadtmuseum ist in zwei ehemaligen Hausmeisterwohnungen am Rathausplatz untergebracht, die sich über zwei Ebenen erstrecken. Das Schöne: Es gibt heimelige Terrassen und Balkone. Das Nachteilige: Die Räume sind klein und sehr verwinkelt. "Wir müssen mit dieser Situation zurechtkommen. Wie lange, das kann mir keiner sagen", berichtet der Museumsleiter. Er erzählt, es sei allgemeiner Wunsch, eines Tages andere Räumlichkeiten zu haben, aber bis dahin müssten sich die Museumsgestalter etwas einfallen lassen. Bachter denkt da etwa an mobile Einbauten, die sich später problemlos auch an anderer Stelle aufstellen ließen.

Bei den neuen Schwerpunkten hat Bachter klare Vorstellungen. Er nennt fünf Abteilungen. Die erste umfasst archeologische Fundstücke, die zweite soll den Weg Unterschleißheims vom Bauerndorf zum High-Tech-Standort nachzeichnen, die dritte wird Objekte ausstellen, die keinen direkten Bezug zur Stadt haben. Die vierte verdankt das Museum Manfred Graf, er hat der Stadt 32 Bilder geschenkt. Sie zeigen Unterschleißheim und seine Umgebung. Die fünfte Abteilung dürfte die spannendste für Bachter werden, denn hier plant er etwas nahezu Einmaliges. Ein Museum im Dunkeln. In vollkommener Finsternis könnten Besucher hier etwa den Flachsanbau bis zum Leinen ertasten, hören, schmecken, riechen. Deswegen könnte es auch Museum der vier Sinne heißen. Um das Projekt umzusetzen arbeitet Bachter mit Pädagogen des Sehbehindertenzentrums in Unterschleißheim zusammen, genauso wie mit Museumsgestaltern.

Noch sitzt Bachter in der zusammengewürfelten Bauernstube im Museum und die meisten Ideen existieren nur in seinem Kopf. Doch sie fügen sich zu einem Gesamtbild zusammen. Feste Abteilungen und viele interessante Geschichten skizziert er während des Gesprächs. Alle Objekte, die künftig gezeigt werden, sollen in den historischen Kontext eingeordnet werden. Und oft gibt es auch Geschichten hinter den Dingen zu entdecken, was ihn besonders fasziniert. So erzählt er etwa von der Schuhputzmarke Eri. Die Schuhputzdosen liegen momentan in einem Regal der ausgestellten Schusterwerkstatt. Benannt wurde die Marke nach Erika Ries, der Tochter des jüdischen Fabrikanten. Erika Ries wanderte 1938 nach Palästina aus und lebte später in einem Kibbuz. In der Villa ihrer Familie residierte im nationalsozialistischen Reich derweil Göppingens Nazi-Bürgermeister. Bachter betitelt diese Geschichte mit den Worten: "Was Lederpflege mit Zeitgeschichte zu tun hat".

Von solchen und anderen interessanten Hintergründen hat Bachter noch viele zu bieten. Es wird spannend sein, das Museum von heute mit dem in ein, zwei Jahren zu vergleichen. Auf jeden Fall rechnet Bachter noch in diesem Jahr mit dem Umbau. Dann wird das Haus geschlossen bleiben, aber der Leiter will präsent sein mit Sonderführungen, Ausstellungen und Veranstaltungen. Fest geplant sind Sing-Abende und Vorträge über die Namensgeber Unterschleißheimer Schulen. Auch die Raritätenbühne im Gleis 1 wird wieder stattfinden. Bei der Premiere hatten die Fachleute mehr als 200 Exponate zu begutachten. Aber auch die alten Handarbeitstechniken wie Brettchenweben oder Nagelbinden sollen nicht in Vergessenheit geraten. Anna Strübel sei eine Spezialistin dafür, sie wird Kurse organisieren. Inklusive Umbau dürfte es also ein abwechslungsreiches Jahr für das Stadtmuseum werden.

Das Stadtmuseum am Rathausplatz 1 ist dienstags von 10 bis 16 Uhr, donnerstags von 14 bis 18 Uhr, jeden zweiten und vierten Samstag von 10 bis 16 Uhr am ersten Sonntag im Monat von 13 bis 16 Uhr geöffnet, um 14 Uhr gibt es eine Themenführung. Besuch nach Vereinbarung ist möglich, der Eintritt ist kostenlos, Telefonnummer 089/31 00 92 66.

© SZ vom 19.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: