Toleranz:Stapelweise Hetze

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Landrat, Bürgermeister und Flüchtlingshelfer sehen sich vermehrt Anfeindungen ausgesetzt. In E-Mails wird offen gedroht und beleidigt. Doch weder Politik noch Asylkreise lassen sich einschüchtern

Von Stefan Galler

Landrat Christoph Göbel (CSU) ist geschockt: "Der Anschlag in Köln war ein furchtbarer Vorfall, die Darstellung von Galgen, an denen Politiker hängen, ist widerlich", sagt der erste Mann im Landkreis. Und womöglich stellen diese Übergriffe, die zuletzt bei allen Demokraten im Land Entsetzen hervorgerufen haben, schon bald keine Einzelfälle mehr dar: Nach einer Analyse des Bundeskriminalamtes (BKA) steigen nicht nur die politisch motivierten Attacken gegen Asylbewerberheime in Deutschland - in diesem Jahr hat es bereits mehr als 450 solcher Anschläge gegeben; auch Angriffe auf politisch Verantwortliche und haupt- sowie ehrenamtliche Unterstützer von Flüchtlingen werden nach Angaben von Staatsschützern in Zukunft zunehmen, sowohl verbal als auch in Form direkter Gewalt wie eben vor einer Woche beim Attentat auf Kölns neue Oberbürgermeisterin Henriette Reker. "Insbesondere dürften dabei Politiker und Unterkunftsbetreiber im Zielspektrum entsprechend fremdenfeindlich motivierter Täterkreise liegen", teilt das BKA mit.

Eine äußerst beunruhigende Vorhersage, auch für die zahlreichen Politiker und Helfer, die sich im Landkreis München für die Belange der Asylsuchenden einsetzen. Derzeit - so der Tenor bei den meisten Befragten - halte sich der Widerstand gegen ein Engagement für Flüchtlinge noch in Grenzen. Landrat Göbel hat da allerdings ganz andere Erfahrungen gemacht. Er sei zwar noch nie persönlich angepöbelt oder gar körperlich attackiert worden, die Stänkereien via E-Mail oder in den sozialen Netzwerken würden jedoch erschreckend zunehmen, nicht nur quantitativ, sondern auch an Schärfe. "Dennoch hoffe ich, dass ich mir keine Gedanken machen muss", sagt Göbel, der dementsprechend auch keinen Personenschutz angefordert hat, wie das teilweise bei Bürgermeistern in ostdeutschen Städten wie Leipzig, Magdeburg oder Heidenau bereits der Fall war. "Mit Personenschutz wäre das Leben ein völlig anderes", sagt Göbel.

Auch wenn er betont, dass "Angst ein schlechter Ratgeber" sei, will der Landrat sehr wohl "die Augen offenhalten". Einen ganzen Stapel E-Mails mit teils radikalem Gedankengut, teils infamen Beleidigungen, hat er bei sich auf dem Schreibtisch liegen. "Ich werde da schon mit markanten Dingen konfrontiert", sagt er. Göbel ist vor allem irritiert davon, dass die Pöbler kaum mehr darauf achten, anonym zu bleiben: "Immer häufiger kommen die Attacken von eigenen Mailadressen oder erkennbaren IP-Adressen", berichtet er.

Sein Stellvertreter, der Landtagsabgeordnete Ernst Weidenbusch, hatte sich zuletzt dafür ausgesprochen, mit unnachgiebiger Härte gegen Internet-Hetze vorzugehen: "Menschen, die den Hass gegen Flüchtlinge schüren, auf Facebook oder anderen Plattformen, sollten nicht mit einer Ordnungswidrigkeit davonkommen", sagte der CSU-Politiker in der Unterföhringer Bürgerversammlung. Er fordert sogar Gefängnisstrafen: "Ich denke, sie sollten drei Monate lang in einem beengten Raum Zeit zum Überlegen haben."

Göbel ist der Meinung, dass man rechte Anschauungen zähneknirschend akzeptieren müsse, so lange es nicht "strafrechtlich relevant" werde: "Nationalistische Politik gefällt mir nicht, aber ich muss noch so kernige politische Ansichten aushalten, auch wenn sie teilweise heftige Kritik an meiner Politik üben." Was nicht gehe, seien hanebüchene Vorwürfe, die den Tatbestand der Verleumdung erfüllten. "Ich habe Strafantrag gestellt gegen jemanden, der mir unterstellt, illegale Einwanderung zu unterstützen. Da ist für mich die Grenze überschritten", sagt Göbel. Grundsätzlich aber habe er das Gefühl, dass man es überwiegend mit "normalen Menschen, die nicht überdrehen", zu tun habe. Eine Aussage, die etwa Ursula Mayer (CSU), Bürgermeisterin von Höhenkirchen-Siegertsbrunn, stützt: "Ich muss viele Gespräche dazu führen, aber immer in einem vernünftigen Ton", sagt die Rathauschefin, die schon seit Jahren in ihrer Kommune Flüchtlinge in dreistelliger Zahl beherbergt. Seit 2014 bringt die Gemeinde anerkannte Flüchtlinge, denen die Obdachlosigkeit droht, in einer Wohnwagensiedlung im Ort unter. Auch das akzeptiere die Bevölkerung, sagt Mayer. Nur ein Vorfall sei ihr präsent: "Vorletzte Woche hat man auf die Parkplätze der Rathausmitarbeiter 'No Asyl' hingeschmiert. Aber ich hab's gar nicht gesehen, so schnell wurde das wieder weggeputzt."

Edwin Klostermeier (SPD), Bürgermeister von Putzbrunn, hat ähnliche Erfahrungen gemacht, als er gemeinsam mit der Mehrheit des Gemeinderates vor zwei Jahren gegen den Willen einer Bürgerinitiative ein Flüchtlingsheim in der Waldkolonie durchsetzte. "Damals gab es Mails, ich würde sie Einzelmeinungen nennen, die dem rechtsradikalen Spektrum zuzuordnen sind", sagt Klostermeier. Die Bandbreite habe von Beschimpfungen bis hin zu anonymen Drohungen gereicht. "Aber ich würde meine Überzeugungen nie über Bord werfen. Ich bin nicht ängstlich."

In den meisten Helferkreisen sind sie bisher von Übergriffen verschont geblieben, das sagen unisono Yvonne Meininger vom Helferkreis Asyl Ismaning und Alexandra Brandner vom Helferkreis Aschheim, der sich um die Notunterkunft im Ortsteil Dornach kümmert. "Bis auf eine merkwürdige Ankündigung auf Facebook vor vier Wochen, dass Rechtsradikale Dornach aufmischen wollen, habe ich nichts gespürt", sagt Brandner, die allerdings anfangs durchaus Ängste in der Bevölkerung gespürt hat: "Mittlerweile ist es aber sehr ruhig." In Ismaning gebe es ebenfalls keine Probleme, sagt Meininger: "Inzwischen haben auch die Anwohner dort, wo die Flüchtlinge hingekommen sind, festgestellt, dass das nette Leute sind." Sie führt die ruhige Lage auch auf das politische Klima in der Gemeinde zurück, wo "alle Fraktionen an einem Strang ziehen".

Karl Stocker vom Helferkreis Putzbrunn-Ottobrunn musste dagegen zuletzt "ein paar Zettel" zur Kenntnis nehmen, die einigen seiner Ehrenamtlichen anonym zugestellt wurden. Die Drohung "Du wirst schon sehen, wie weit du damit kommst", stand darauf geschrieben. Eine ältere Helferin habe verängstigt reagiert, das Schreiben sei der Polizei übergeben worden. Bei der Traglufthalle in Taufkirchen kommt es laut Caritas immer wieder zu Beschimpfungen der Helferinnen. "Zwei Frauen mit Hunden" täten sich dabei vor allem unrühmlich hervor, berichtet FDP-Gemeinderätin Ursula Schulze. Bisher hat den Hetzerinnen niemand widersprochen. Das sollte sich schnell ändern. Denn nicht nur Angst, auch Ignoranz ist ein schlechter Ratgeber.

© SZ vom 24.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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