SZ-Serie "Zusammengerauft": 40 Jahre Gebietsreform:Späte Dreieinigkeit

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Der Zusammenschluss von Helfendorf, Peiß und Aying war alles andere als eine Liebesheirat. Und wenn auch nicht alle ihren Frieden mit der Zwangsehe gemacht haben, so gehören die Feindseligkeiten unter den drei Ortschaften mittlerweile allenfalls zur Folklore

Von Michael Morosow

Nein, sie standen nicht schmachtend vor dem Traualtar, von Liebe auf den ersten Blick konnte schon gar nicht die Rede sein. Und wenn ein Pfarrer ihnen das Eheversprechen abgenommen hätte, wäre die Antwort gewesen: "Ja, wenn's sein muss." Der Hochzeitslader, in diesem Fall die Regierung von Oberbayern, hatte in der Tat viel Überredungskunst anwenden müssen, um den drei Orten Aying, Peiß und Helfendorf ein "freiwilliges" Eheversprechen abnehmen zu können, und lockte dann auch noch mit einem staatlichen "Heiratsgut" in Höhe von 190 000 Mark. In diesem Jahr feiern die Zwangsvermählten Rubinhochzeit, aus der arrangierten Ehe gehen bislang sicher mehr als tausend Kinder hervor.

Wenn man so will, dann waren die ehemals selbständigen Gemeinden Helfendorf und Peiß die Bräute, die zum Altar geschleppt wurden und den Namen des Bräutigams Aying annehmen mussten. Insbesondere die Helfendorfer hatten sich lange mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, ihre Eigenständigkeit zu verlieren. Sie fühlten sich allein stark und glücklich. Und Helfendorf war auch die reichere der drei Kommunen. Allein, die Helfendorfer hatten keine andere Wahl, sieht man von dem Angebot des damaligen Miesbacher Landrats Wolfgang Gröbl ab, die Gemeinde in seinen Landkreis einzugliedern. Dann lieber mit Aying zusammengehen und damit im Landkreis München verbleiben, entschieden die Helfendorfer am 29. Dezember 1975 bei einer Bürgerversammlung im mit 400 Gemeindebürgern vollbesetzten Gasthof "Zur Post."

Und heute? Hat sich aus der Zwangsehe eine glückliche Dreierbeziehung entwickelt? Hat sich trotz der traditionellen Rivalität zwischen den Ortschaften, die durch die Zusammenlegung eher befeuert wurde, in 40 Jahren ein Gemeinschaftsgefühl entwickelt? Im Gemeinderat auf jeden Fall, sagt Bürgermeister Johann Eichler aus Kleinkarolinenfeld, dereinst Ortsteil von Helfendorf. Das 16-köpfige Gremium setzt sich seit 1978 aus Vertretern der größeren Ortsteile zusammen. Es gebe keine Fraktionsbildung innerhalb des Gremiums, auch wenn so Manches strittig sei, sagt Eichler, der seit mittlerweile 22 Jahren im Amt ist. Mehrheitsentscheidungen würden akzeptiert, ohne Nachtarock.

"Das ist eine gewaltige Stärke des Gemeinderats, wir haben ein Demokratieverständnis, von dem sich andere eine Scheibe abschneiden können", sagt Eichler mit stolzem Unterton. Dass es auf anderen Ebenen zumindest in den ersten Jahren nach dem Zusammenschluss noch knirschte, weiß er freilich auch - aus eigener Erfahrung: "Probleme meiner Kinder im Wahlkampf waren der Grund dafür, dass wir sie auf eine Münchner Realschule schickten", hatte Eichler im Vorjahr in einem Gespräch mit der SZ berichtet. Für ihn aber ist der Zusammenschluss der Gemeinden insgesamt eine "Erfolgsgeschichte". Aus unterschiedlichen Mentalitäten eine starke Gemeinschaft zu machen, das sei die Herausforderungen gewesen.

Da halfen auch keine Gebete: Im Mai 1978 kam Helfendorf - hier der heutige Teil Großhelfendorf - mit Peiß zur Gemeinde Aying. (Foto: Claus Schunk)

Verlässt man die offizielle Amtsstube des Rathauses und fragt draußen nach bei Zeitzeugen, dann rennt man jedoch keine offenen Türen ein, weder in Helfendorf noch in Peiß noch in Aying. Wer zu einem Gespräch bereit ist, will auf keinem Fall seinen Namen in der Zeitung lesen. So auch jener Ayinger, der nach eigener Schilderung einst nicht gerade freundlich behandelt worden ist im "Oswald" in Kleinhelfendorf. Als er den Gastraum betreten habe, sei einer vom Stammtisch aufgestanden und habe gesagt: Ja, Kruzifix, regnet's denn so stark, dass scho Ayinger Dreck reinschwoabt?" "Ja", habe er geantwortet, "es regnet sogar so stark, dass scho a Haufa Dreck dasitzt."

Anekdoten dieser Art existieren viele, aber gerade jetzt, zur Feier des 40-jährigen Bestehens der Zusammenlegung, will keiner mehr alte Wunden aufreißen. Lachen können sie allenfalls heute noch über die Geschichte vom Schneiderhuber aus Aying, der einst mit seinem Fahrrad in Helfendorf wegen eines platten Reifens liegen blieb, das Angebot eines Helfendorfers, ihm den Platten zu flicken, aber mit den Worten ablehnte: "Du glaubst doch ned, dass i mit Helfendorfer Luft weiter fahr'."

Als der Münchner Merkur vor zwei Wochen über alte Dorffeindschaften berichtete, kam auch Michl Wöllinger, der Vorsitzende der vor 15 Jahren gegründeten "Ayinger Gmoakultur ", zu Wort. Wegen der Namenswahl sei er von Helfendorfern angefeindet worden, wurde er zitiert und bei seiner Rechtfertigung zudem mit dem Satz: "Aying kennt jeder, Helfendorf niemand." Es hagelte daraufhin Leserbriefe, deren Hauptaussage war: Es muss endlich Schluss sein mit dem alten Schmarrn.

Dabei ist eigentlich schon lange Schluss mit alten Rivalitäten. Die Feindseligkeit werde nur noch zu Gaudi zelebriert, die große Mehrheit belässt es aber bei nachbarschaftlichen Frotzeleien, sagt auch der Ayinger Bräu, Franz Inselkammer junior, der sich aber noch an Schlägereien zwischen Helfendorfer und Ayinger Grundschülern erinnern kann, ernst sei es aber nie geworden. "Die Gräben sind geschlossen und die alte Munition zündet nicht mehr", lässt sich heute sagen. Das glaubt auch der alte Schmied von Aying, Hans Landerer.

Die heutigen Frotzeleien sind seiner Ansicht nach eher harmlose Folklore. Und die wenigen "Hardliner" auf beiden Seiten, die heute noch keinen Frieden finden, "die sollen weiterspinnen". Als Jugendtrainer habe er Kinder aus Aying, Peiß und Helfendorf trainiert und nie Probleme gehabt. Wie Gabriel Baumhakl, ein gebürtiger Kreuzstraßler und ehemaliger Trainer in Helfendorf, bedauert es auch Landerer, dass ein geplanter Zusammenschluss der Ayinger und Helfendorfer Fußballer zu einem Verein "durch ein Missverständnis" gescheitert sei. Es sei damals das falsche Gerücht aufgekommen, die Helfendorfer wollten Ayinger abspenstig machen, worauf die Ayinger sich zurückzogen. Daraufhin habe der Helfendorfer Unternehmer Ruppert Fritzmeier den SV Helfendorf aus der Taufe gehoben.

Dass es aktuell Annäherungen gibt zwischen den SF Aying und dem SV Helfendorf, ist eines von vielen Zeichen für das gute Verhältnis, dass Zwangsverheirateten inzwischen pflegen. Früher, so erinnert sich der Vorsitzendes des Helfendorfer Trachtenvereins und langjährige Gemeinderat Karl Hörterer, sei das anders gewesen. Acht Mal habe er als Jugendlicher zu den Ayinger Sportfreunden gehen wollen, jedes Mal habe sein Vater gesagt: Zu den Ayingern gehst nicht. Und Hörterer vergisst auch nicht zu erwähnen, dass inzwischen auch Ayinger Mitglieder im Helfendorfer Trachtenverein seien. Gleichzeitig haben die Ayinger ihre "Sau AG", eine auf 100 Mitglieder begrenzte Gesellschaft, für Helfendorfer geöffnet, was früher undenkbar gewesen wäre. Es mag vielleicht noch keine Liebe sein, aber die gegen ihren Willen Verheirateten können sich wieder riechen.

Und wenn es kritisch wird, dann haben die Menschen hier ohnehin immer zusammengehalten. Zuletzt und in besonderem Maße beim schließlich erfolgreichen Kampf gegen die Ansiedlung des Münchner Flughafens.

© SZ vom 12.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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