SZ-Serie: Stade Zeit, Folge 3:Im Herzen dabei

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Maria Wagenlechner hält jeden Tag Zwiesprache mit ihrem verstorbenen Mann Georg. (Foto: Robert Haas)

Maria Wagenlechner hat vor einem Jahr ihren Mann verloren, den sie lange gepflegt hat. Gerade in der Vorweihnachtszeit kommt die Trauer wieder hoch. Dann tröstet die Witwe sich mit der Erinnerung an ihn

Von Irmengard Gnau, Landkreis

Georg wird auch in diesem Jahr dabei sein, wenn sich die Familie von Maria Wagenlechner (Namen geändert) an Heiligabend im Haus der Tochter versammelt. Sie wird das großformatige Foto von ihm schmücken und es auf den Tisch stellen neben den Christbaum. "Er war immer der Mittelpunkt", sagt Maria Wagenlechner. Vor einem Jahr ist ihr Mann gestorben, mit 92 Jahren. Mehr als 60 Jahre lang waren sie verheiratet, hatten ein Haus gebaut, drei Kinder zusammen groß gezogen. In den letzten Jahren seines Lebens war Maria Wagenlechners Mann ein Pflegefall. Es fing an mit Sprachschwierigkeiten, erst war es wie ein Stottern, dann wurde es immer schlimmer, irgendwann konnte Georg, der so ein sozialer Mensch gewesen war, nicht mehr sprechen. "Am Ende war er hilflos wie ein Baby", sagt Wagenlechner. Sie pflegte ihn gemeinsam mit ihrer Tochter, erst im eigenen Haus, später in einem Heim ganz in der Nähe. "Ich bin morgens zu ihm gegangen und abends wieder heim", erzählt sie.

Die Zeit war nicht immer leicht. "Aber ich möchte keine Stunde davon missen", sagt Wagenlechner. Als ihr Mann an einem Samstagabend mit Wasser in der Lunge ins Krankenhaus gebracht werden musste, waren sie und die Kinder bei ihm, hielten seine Hand, bis er irgendwann den Druck nicht mehr erwiderte.

"Ich vermisse ihn", sagt Wagenlechner. "Er geht uns sehr ab. Aber der Kopf sagt: Er hätte nichts Gutes mehr zu erwarten gehabt hier." Besonders tröstlich ist für sie der Gedanke, dass es Georg da, wo er jetzt ist, gut geht. Auch wenn sie nicht religiös ist. Dass man den Tod auch als Erlösung für den Partner erfährt, fängt dennoch die Leere nicht auf, die entsteht, wenn der geliebte Mensch mit einem Mal nicht mehr da ist. "Mein Tagesablauf war ja jahrelang auf meinen Mann ausgerichtet", sagt Wagenlechner. Nach dem Tod fielen plötzlich all die gewohnten Aufgaben weg.

Zur Trauer über den Verlust kommt in den ersten Tagen das Chaos. "Man ist konfus", sagt Wagenlechner. Formalitäten sind zu regeln, Fragen nach der Beerdigung, nach einem möglichen Erbe, nach der eigenen Rente. Auch die Kinder müssen mit dem Verlust umgehen. Das ganze Familiengefüge muss sich neu sortieren.

"Es ist vergleichbar mit einem Mobile, bei dem ein Element abgetrennt wird", sagt Johanna Hagn. Die 71-Jährige arbeitet seit 15 Jahren ehrenamtlich als Trauer- und Sterbebegleiterin im Landkreis. "Erst mal ist alles anders", sagt sie. Wie sehr, das merken vielen Menschen erst dann, wenn sich der Trubel legt und es plötzlich ruhig ist. Mit sich allein zu sein, ohne den Partner, der oft über Jahrzehnte wie ein Spiegel des eigenen Selbst war, fällt vielen schwer. In dieser Phase können Rituale dabei helfen, wieder Halt zu finden im Alltag, erklärt Hagn. Kleine Regelmäßigkeiten geben Struktur in der ungewohnten Situation. Für Maria Wagenlechner ist es der Weg zum Friedhof. Jeden Tag läuft sie die gut zwei Kilometer, um Georg an seinem Grab zu besuchen. "Ich zünde eine Kerze an und rede mit ihm, ich erzähl ihm was." Das Laufen ist wie Therapie.

Eine Stütze ist es auch, wenn jemand da ist, der zuhört. "Man kann noch so vorbereitet sein auf den Tod - wenn er kommt, ist es immer zu früh", sagt Hagn. Fünf bis sechs Menschen begleitet sie jedes Jahr, führt Gespräche, schenkt Zeit. 17 Hospizkreise bieten inzwischen im Landkreis eine solche Begleitung für Trauernde und Sterbende an, etwa in Haar, Kirchheim, Ottobrunn, Ismaning oder Schäftlarn. Die Gruppen haben sich zur Arbeitsgemeinschaft Hospiz zusammengeschlossen, seit 2013 gibt es zudem eine zentrale Koordinationsstelle im Landratsamt. Das Angebot soll Trauernden helfen, nach dem Tod des geliebten Menschen aus Schock und Sprachlosigkeit herauszufinden. Die Wege sind vielfältig, es gibt Malkurse, Gesprächsgruppen oder Handarbeit. "Trauer ist individuell. Jeder geht anders damit um", sagt Hagn. "Als Helfer ist es wichtig, immer wieder Angebote zu machen, kleine Gesten, ohne Druck. Wenn es dem Trauenden hilft, hilft es, wenn nicht, darf man nicht beleidigt sein."

Auch Maria Wagenfellner erfüllt manchmal Trauer. Vor allem vor dem Schlafengehen kommen die dunklen Gedanken. "Dann denke ich an unser Tal in Südtirol. Dort haben wir 30 Jahre lang jedes Jahr zusammen Urlaub gemacht. Und dann gehe ich in Gedanken mit Georg die Wege, die wir immer gewandert sind." Sich schöne Erinnerungen wachzurufen, dem Dunklen positive Gedanken entgegenzusetzen, ist eine Technik, die sich üben lässt und die eine große Stütze sein kann, erklärt Hagn. Gerade an Tagen, an denen Paare gemeinsam die Zeit verbringen, und Trauernden deutlich wird, dass der eigene Partner nicht mehr da ist. Maria Wagenlechner hat für sich einen Weg gefunden, mit Georgs Tod umzugehen. "Natürlich fehlt er mir. Aber ich bin dankbar für die lange Zeit", sagt sie. "Auch wenn er körperlich nicht mehr da ist, in Gedanken ist er immer noch bei uns." Auch an Weihnachten.

© SZ vom 15.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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