SZ-Serie "Schauplätze der Geschichte":"Gott will es"

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Mit diesem Schlachtruf zogen die ersten Kreuzfahrer im Jahr 1099 ins Heilige Land und eroberten Jerusalem. Teil der Beute waren auch Partikel vom angeblich wahren Kreuz Christi. Auf verschlungenen Wegen und durch einen Raub gelangten sie schließlich nach Scheyern, den Stammsitz der Wittelsbacher

Von Andreas Förster

Eine Wallfahrt zum Scheyrer Kreuz hat für viele gläubige Katholiken den Stellenwert einer Pilgerfahrt nach Jerusalem. Wie eine der wichtigsten Reliquien Bayerns kurz nach den Kreuzzügen ihren Weg ins Kloster Scheyern fand, ist ein wahrer Historien-Krimi.

Kurz nach seiner Ernennung zum Erzbischof der Diözese München-Freising pilgert Kardinal Reinhard Marx im Januar 2008 zum Scheyrer Kreuz. In der Kapelle des Klosters Scheyern lässt er sich mit der Reliquie vom damaligen Abt segnen. Marx möchte damit sein Wirken als Erzbischof unter das Zeichen des Kreuzes Christi stellen. Seit Jahrhunderten pilgern die Menschen wie Kardinal Marx zum Heiligen Kreuz, einer der bedeutendsten Reliquien in ganz Bayern. Insbesondere zu den beiden großen Kreuzfesten, dem Fest der Kreuzauffindung am 3. Mai sowie dem Fest der Kreuzerhöhung am 14. September, kommen die Wallfahrer zu Tausenden ins Kloster Scheyern, um die Monstranz mit dem Heiligen Kreuz zu verehren und sich segnen zu lassen. Aber auch an ganz normalen Werktagen und am Sonntag nach dem Gottesdienst ist es möglich, nach vorheriger Vereinbarung sich das Heilige Kreuz auf die Stirn legen zu lassen. Kreuzauflegen gehört wie die Klosterführungen zu den Routine-Aufgaben der Benediktinermönche in Scheyern. Pater Lukas Wirth, 44, einer der Priester-Mönche in Scheyern, erzählt die spannende Geschichte des Scheyrer Kreuzes.

Sie beginnt mit der Heiligen Helena (248 - 330 n. Chr.). Die Mutter des römischen Kaisers Konstantin des Großen (275 - 337) unternimmt in der Zeit zwischen 326 und 329 eine Wallfahrt ins Heilige Land, um dort - einer Vision folgend - nach dem Grab Christi zu forschen. Sie findet die heiligen Stätten verwüstet, verschüttet und durch einen heidnischen Tempel entweiht. Der Überlieferung nach wurde das Grab unter einem von Kaiser Hadrian im 2. Jahrhundert errichteten Venustempel vermutet, der nur dem einen Zweck gedient haben soll: die sich rasch ausbreitende Verehrung des Grabes durch die ersten Christen zu unterbinden. Tatsächlich bedeckt eine hohe Terrasse das vermutete Heilige Grab und den Golgotafelsen. Dieser künstlichen Terrasse ist es wohl zu verdanken, dass die beiden Stätten erhalten blieben. So kann Helena in mühevollen Grabungen die Felsengrotte des Heiligen Grabes bloßlegen sowie nicht weit davon drei Kreuze samt Nägeln und einer Inschrift. Diese ist jedoch abgetrennt, sodass man das Kreuz Christi nicht mehr zweifelsfrei erkennen kann. Es heißt, der Jerusalemer Bischof Makarios ließ die Kreuze nacheinander einer Schwerkranken auflegen. Durch die Berührung des dritten Kreuzes wurde sie geheilt. Helena lässt sodann die Reste des Kreuzes in drei Teile teilen. Ein Drittel bleibt in Jerusalem, ein Drittel nimmt die Kaisermutter mit nach Rom, und ein Drittel schickt sie ihrem Sohn nach Konstantinopel.

Über dem Grab und der Kreuzauffindungsstelle lassen Helena und ihr Sohn Konstantin eine Basilika errichten: die Grabeskirche. Sie wird am 13. September 335 zu Ehren der Auferstehung Jesu und des Heiligen Kreuzes eingeweiht. Am nächsten Tag wird das Volk zum ersten Mal mit der Kreuzreliquie gesegnet. Zur Erinnerung daran feiern die Katholiken am 14. September das Fest der Kreuzerhöhung.

Nach Scheyern kommt das Kreuz - besser gesagt zwölf Splitter davon - erst viel später. Zuvor fällt das Jerusalemer Kreuz für eine gewisse Zeit in persische Hände. Zwischen 636 und 1099 ist es im Besitz der Muslime, die nun Jerusalem regieren. Die Kreuzritter des Gottfried von Bouillon erobern im Jahr 1099 nach einem Blutbad nicht nur Jerusalem, sondern auch das Heilige Kreuz. Etwa 50 Jahre später gerät jedoch Fulcherius, zwischen 1146 und 1156 Patriarch zu Jerusalem, in Geldnot. So sendet er einen Priester der Ordensgesellschaft von Heiligen Grab mit einer eigens angefertigten Kreuz-Reliquie, die aus mehreren Kreuzpartikeln besteht, sowie einem Beglaubigungs- und Empfehlungsschreiben auf Bettelreise ins Abendland. Aus dem Almosensammeln wird allerdings nichts: Anhänger des Grafen Konrad II. von Dachau rauben dem Geistlichen die Reliquie. Glücklicherweise sind die Grafen von Dachau mit den Scheyrern verwandt. So kommt die Reliquie nach dem Tod des letzten Dachauer Grafen mit seiner Leiche letztlich nach Scheyern. Das berichtet die älteste deutsche Chronik von Scheyern, die von 1390 bis ins 18. Jahrhundert in Holz gerahmt vor der Fürstengruft hängt. Als 1801 die Klöster ihr Kirchensilber an den bayrischen Fiskus abgeben müssen, wandert die Monstranz in das kurfürstliche Münzamt nach München. Später wird sie aber von der Gemeinde Scheyern wieder ausgelöst und ist bis heute Eigentum der Pfarrkirchenstiftung Scheyern. Im Lauf der Jahrhunderte wird die Monstranz mehrfach umgestaltet. Sie besteht aus vergoldetem Silberblech, verziert mit Edelsteinen, und hat die Form eines byzantinischen Kreuzes, das erklärt die beiden Querbalken. Der obere (kürzere) Balken symbolisiert die Kreuzinschrift. Eine zweite neu angefertigte Hülse aus Silber mit Spiegelglas dient dem Schutz der kostbaren Fassung.

Kleine Abbildungen des Kreuzpartikels aus Messing, die Scheyrer Kreuzlein, sind seit Jahrhunderten als Wallfahrtsandenken beliebt. "In der Barockzeit wurden jährlich bis zu 80 000 davon verkauft und in alle Welt geschickt", weiß Pater Lukas. Heute sind es weit weniger. Im Kloster zweifelt niemand an der Echtheit des Heiligen Kreuzes. Durch die in München verwahrten, mehrfach geprüften und als echt anerkannten Urkunden der Patriarchen Fulcherius und Heraklius ist zumindest die Herkunft der Reliquie zweifelsfrei belegt. "Überdies sind die Wunderheilungen und Geschehnisse rund um das Kreuz in vielen Büchern aufgeschrieben worden", versichert Pater Lukas. Und dass das Kreuz überhaupt nach Scheyern kam, ist ein ganz eigenes Wunder.

Am Dienstag: Im 12. Jahrhundert herrscht im Reich Kaiser Barbarossa - und sein Onkel Otto als Bischof in Freising.

© SZ vom 01.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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