SZ-Serie: "Reife(n)prüfung":Bayern braucht ein Radgesetz

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Hartmut Schüler ist selbst passionierter Radfahrer und kennt sich im Landkreis bestens aus. (Foto: Claus Schunk)

Hartmut Schüler, Landkreisbeauftragter des Allgemeinden Deutschen Fahrrad-Clubs, fordert mehr Investitionen in Radwege und ein Umdenken der Politik - und freut sich auf den ersten Radschnellweg im Landkreis

Interview Von Iris Hilberth, Straßlach Dingharting

Hartmut Schüler trifft man am besten direkt am Isar-Radweg. Hier am Gasthof zur Mühle führt die Lieblingsstrecke des Landkreisbeauftragten des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) aus Straßlach vorbei. Dreimal in der Woche mindestens. Zum Auftakt der SZ-Serie "Reife(n)prüfung" spricht Schüler über die Vorzüge des Fahrrads und gefährliche Ecken im Landkreis.

Sie sind mit dem Rad gekommen und müssen nachher bei heißen 34 Grad wieder von der Isar aus den Berg nach Straßlach hinauf. Haben Sie manchmal auch keine Lust aufs Radfahren?

Hartmut Schüler: Sicher, das kommt vor, aber selten bei so einem Wetter. Hin zu geht es ja bergab und hinauf schwitzt man halt mal ein bisschen. Das hält man aus.

Gibt es auch in ländlichen Gemeinden wie Straßlach gefährliche Ecken?

Wir sitzen ja an einer recht gefährlichen Stelle. Dort, wo in die Straße der Isarradweg mündet bei der Kapelle ist eine unfallträchtige Ecke, weil am Wochenende einfach sehr viel los ist. Wir fordern dort schon lange Tempo 20-Schilder.

Der Landkreis ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Kommunen (ADFK).

Es hat sich in den letzten eineinhalb bis zwei Jahren eine Menge getan, vor allem organisatorisch. Lange gab es keine Planstelle für das Thema. Mittlerweile ist das Landratsamt umstrukturiert, das heißt im Referat für Mobilität und Infrastruktur bei Gabriele Hubitschka-Geßner gibt es einen Radverkehrsbeauftragten. Mit den Mitarbeitern dieses Referats sitzen wir vom ADFC viermal im Jahr zusammen. Es gibt eine Struktur, und damit kann es sinnvoll und schneller vorwärts gehen.

Wo fehlt es denn noch besonders?

An Leuten. Aber dass Behörden einmal handlungsfähig sind, um Infrastruktur auszubauen, das ist gegeben. Wir akzeptieren schon, dass alles seine Zeit braucht.

Wie läuft die Zusammenarbeit?

Wenn wir mit den Vertretern des Landkreises zusammensitzen, ist auch die Untere Verkehrsbehörde dabei. Wir thematisieren bei diesen Treffen Schwerpunkte und besprechen, wie wir das hinbekommen. Das ist zum Teil sehr komplex. In Gräfelfing etwa sind wir nach langem Hin und Her zu einer Lösung gekommen. Aber es gibt im Landkreis noch einige solcher Stellen, die wir thematisierten wollen. Unsere Leute vor Ort bereiten das vor. Das ist auch für uns viel Arbeit, wir sind ja alle ehrenamtlich tätig. Und wenn wir etwas verändern wollen, muss das Hand und Fuß haben. Es nützt nichts, zu sagen: Das Schild ist dort blöd. Positiv ist, dass wir mit Frau Hubitscha-Gessner jetzt jemanden haben, der Entscheidungen trifft und sagt: Das machen wir jetzt so, das probieren wir aus.

Gibt es auch Gemeinden, die ganz vorbildlich sind?

Wir haben einige Gemeinden, die in der ADFK Mitglied sind. Oberhaching zum Beispiel. Aber auch hier sieht man durch die Diskussion um Tempo 70 auf der Ödenpullacher Straße, dass bei einer Gemeinde, die relativ viel für den Radverkehr tut, kritische Anmerkungen kommen. Es gibt im Landkreis Gemeinden, in denen der Radverkehr in der Kommunalpolitik einen höheren Stellenwert hat. Dass es aber auch innerhalb der Gremien Gegenstimmen gibt - siehe Oberhaching - ist normal.

Gefordert wird stets der Ausbau der Radinfrastruktur. Gleichzeitig will der ADFC, dass die Radler auf der Straße fahren. Wie passt das zusammen?

Sehr gut! In der Straßenverkehrsordnung ist ganz klar festgelegt, wann ein Radweg verpflichtend sein muss, eben dann, wenn eine besondere Gefahrenlage vorliegt, besonders viel Verkehr oder Schwerverkehr. Dort ist das blaue Schild genau an der richtigen Stelle. Es gibt aber Wege, die als Radwege angelegt sind, wo aber auf der Straße einfach nichts los ist. Wenn man dort zügig vorankommen will, dann sagt der ADFC, soll der Radfahrer entscheiden, wo er sich sicherer fühlt. Innerorts ist man auf diesen Fußwegen, die für Radfahrer frei sind, nicht gut aufgehoben. Da sind wir im Landkreis auch ein Stückchen weiter gekommen, dass auf den Staats- und Kreisstraßen innerorts das Gebot, auf dem Fußweg radeln zu müssen, weg ist. Im Winter etwa ist häufig die Straße schön frei und der Radweg voller Split. Da kann man nicht zügig fahren. Da muss man auch den Autofahrern sagen, dass ein Radweg nur benutzungspflichtig ist, wenn man ihn benutzen kann. Es gab Klagen von Vereinsmitgliedern, die auch recht bekommen haben, etwa für die Strecke von Brunnthal nach Höhenkirchen-Siegertsbrunn.

Als Vorbild wird immer Kopenhagen angeführt. Was machen die Dänen besser?

Die sind schon sehr viel länger mit dem Thema beschäftigt. Und dort ist auch viel mehr Geld im System. Wir fordern ja ein Radgesetz für Bayern, weil wir sagen, es muss ein viel größeres Budget her für den Umbau zu einer Radverkehrsinfrastruktur, die sicher ist. Um mal den Landkreis zu loben: Es gab vor kurzem einen Kreistagsbeschluss, mit dem der Landkreis erstmals abseits von Kreisstraßen die Straßenbaulast für eine schnelle Radverbindung zwischen Sauerlach und München übernimmt. Dort wird der Landkreis mehr Geld in die Hand nehmen als sonst für Radverkehr vorgesehen ist.

Es geht als nur ums Geld?

Nein In dem Moment, in dem man dem Radfahrer etwas anbietet, wird mehr gefahren. Also dadurch, dass Kopenhagen einen so großen Anteil an Radfahrern hat, ist die Umsetzung leichter. Bei uns fangen wir immer wieder bei Null an, dann wird diskutiert, ob wir Tempo 30 machen oder ob wir eine Fahrradstraße wollen. Ich habe aber die Hoffnung, dass wir in zehn Jahren deutlich weiter sind.

Schon König Ludwig plante ein Velo-Gesetz.

Alle Parteien, bis auf eine, unterstützen die Sache. Die eine, die das noch nicht macht, aber sagt, sie sei fahrradfreundlich.

Es ist aber die größte...

Der Druck auf die Politik steigt. Wenn man im Tölzer Land radelt, trifft man zu 80 Prozent E-Biker. Das ist die Generation 70 Plus, und die kennt die Straßen nur vom Auto. Jetzt schaffen sich über 700 000 Leute im Jahr in Deutschland ein E-Bike an, davon viele Ältere und sicher auch das Wähler-Klientel der CSU. Die sagen: Ich kaufe mir für 3000 Euro ein E-Bike, jetzt will ich auch damit fahren. Da ändert sich etwas.

Der Anstieg der E-Biker wird auch immer im Zusammenhang mit den Radschnellwegen genannt, die gebaut werden sollen. Warum dauert das denn so lange?

Die Planungsvorgaben sind so komplex. Jetzt gibt es ja die Hoffnung, dass wir bis 2021/22 den Radschnellweg im Norden endlich bekommen.

Sind Sie da mit den Planungen zufrieden?

Hauptsache sie bauen ihn irgendwie endlich mal.

Egal wo?

Man muss irgendwann mal eine Entscheidung treffen. Und man kann es nicht jedem Recht machen. Es geht darum, dass es jetzt schnellst möglich umgesetzt wird. Die Planungsprozesse sind halt einfach unglaublich langwierig. Bei den Planungen im südlichen Landkreis merkt das die Regierung von Oberbayern jetzt. Daher hoffen wir, dass das gesetzlich endlich einen Widerhall findet.

Die Mitnahme von Rädern im ÖPNV wird auch von Ihnen gefordert, aber die Bahnen sind doch eh schon so voll.

Ja, die sind voll. Man muss einfach umdenken. Wenn ein neuer Fuhrpark bestellt wird, muss mehr Platz für die Fahrräder vorgesehen werden. Schwierig ist es auch in der Früh, mit dem Rad in der Bahn zum Hauptbahnhof zu kommen. Dann hat man zwar eine Fahrradkarte für den ICE, aber man kommt nicht hin, weil in den Hauptverkehrszeiten die Mitnahme von Rädern in der S-Bahn nicht erlaubt ist. Wir hatten vorgeschlagen, es für Fahrgäste mit solchen Fahrkarten zu erlauben. Das ist ja eine überschaubare Anzahl. Aber nicht mal das geht. Das verstehen wir nicht.

Eine Alternative ist das MVG-Mietradsystem, das ja auf den Landkreis ausgeweitet wird. Ist das eine gute Sache?

Es ist eine gute Vernetzung, weil man mehr Flexibilität schafft. Irgendwann hört der Bus auf zu fahren, dann muss man ewig warten. Und fünf Kilometer sind mit dem Fahrrad leicht zu schaffen. Deshalb macht ja Brunnthal auch mit. Es ist eine sinnvolle Ergänzung, der ADFC unterstützt das.

Was wünscht sich der ADFC von der Politik?

Klar, mehr Geld. Es gibt Gemeinden, die tun eine Menge, andere tun sich schwer. Wir brauchen allgemeingültige Vorgaben. Deshalb halten wir das Radgesetz für unabdingbar. Sonst haben wir Stückelwerk. Wir wünschen uns, dass der Bau von einer guten Radinfrastruktur genauso gesehen wird wie der normale Straßenbau.

© SZ vom 27.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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