SZ-Serie "Oh, mein Gott!" - Teil 2:Homo Faber im Gottesdienst

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Markus Kausch leitet seit 20 Jahren den Gospelchor in Siegertsbrunn. Dabei zählt bei der Liedauswahl auch der politische Gehalt. Mit der Institution hat er teils seine Probleme, er sieht Kirche als abstraktes Konstrukt an

Von Laura Zwerger, Höhenkirchen-Siegertsbrunn

Unterdrückt und aus der Gesellschaft ausgestoßen - lediglich ihr Körper blieb ihnen, um sich damit Gehör zu verschaffen. Im 19. Jahrhundert wurden die schwarzen Sklaven in Amerika jeglicher Möglichkeit beraubt, ihrer Stimme Gewicht zu verleihen. Nicht einmal ein Musikinstrument durften sie spielen. Um ihr Elend dennoch zu teilen, besangen sie ihr Leid in Liedern, welche als Gospel weltbekannt wurden. "Mit den Füßen haben sie dazu gestampft und mit den Händen im Takt geklatscht. Oft sangen sie Passagen aus der Bibel, unter anderem wie Gott den Armen half", erzählt Markus Kausch. Der 61-Jährige leitet seit etwa 20 Jahren einen Gospelchor in Siegertsbrunn, an biblischen Texten orientiert er sich aber kaum mehr. Zwar ist er katholisch getauft und bekennt sich selbst zum Glauben, jedoch hadert er beständig mit der Kirche: "Ich bin mir nicht sicher, ob ich austreten soll oder nicht", sagt er. "Die handelnden Personen in der Hierarchie sehe ich problematisch."

Seit einiger Zeit beschäftigt sich Kausch, der hauptberuflich als Schriftsetzer arbeitet, verstärkt mit politischen Themen. Kritisch betrachtet er dabei das weltpolitische Geschehen und ebenso den Standpunkt der Kirche darin. Auch in der Chormusik schlägt sich seine Nachdenklichkeit nieder. "Ich suche in der Musik nicht die Entlastung, sondern die Probleme", sagt er. "Da habe ich einen Anspruch." Für das nächste Gospelkonzert hat Kausch 206 Lieder der Beatles über zwei Monate angehört. Einige davon wird der Chor in dem Jubiläumskonzert dieses Jahr singen, denn sie hat Kausch wegen ihres tieferen Sinns ausgewählt: "Manche Lieder haben zwischen den Zeilen bestimmte Botschaften, auf deren Sinn man erst im Nachhinein kommt", erzählt er. "Das kann auch einfach ein Achtel mehr in der Zeile sein, das dem Ganzen Leben einhaucht - auf die kleinen Dinge kommt es hier an."

Chorleiter Markus Kausch sieht eingies kritisch, sagt aber: "Über die Jahrhunderte hat die Kirche weltlich gesehen einen großen Horizont bekommen." (Foto: Angelika Bardehle)

Früher hat Kausch mit seinem Chor auch öfter Gottesdienste begleitet. Jedoch hat das in den letzten Jahren sehr abgenommen, zum einen, weil sie vor einem ganz pragmatischen Problem stehen: "Unser Chor ist mit 43 Sängern zu groß für viele Kirchen geworden, wir haben nicht genügend Platz für alle auf der Empore oder beim Altar", sagt Kausch. Auch gebe es mittlerweile sehr viele Chöre in der Umgebung, die Gottesdienste begleiten möchten. Zum Anderen werde der Glauben in der Chorgruppe aber auch kaum thematisiert. "Die Religion ist bei uns egal, auch bei Kirchenauftritten ist die Religionszugehörigkeit unwichtig", sagt Kausch.

Auch im Privaten verbindet er die Religion und seinen Glauben nicht zwingend mit der Kirche. "Die eigene Religiosität ist nicht von der Kirche abhängig", sagt er. Besonders in der modernen Gesellschaft passten Kirche und Alltag nicht immer zusammen. "Wenn man solche Themen wie die Verhütung betrachtet, dann halten sich wohl die wenigsten Gläubigen an die Vorschriften der Kirche. Man muss sich schließlich im realen Leben zurecht finden, die Kirche ist jedoch ein abstraktes Gebäude."

Bereits in seiner Jugend hatte Kausch eine liberale Einstellung zum Glauben und hat gerne die ein oder andere Grenze ausgetestet. Als er in Ottobrunn mit Anfang Zwanzig in einer Jugendgruppe Mitglied war, dufte er auch einen Gottesdienst in der Kirche St. Albertus Magnus mitgestalten. Dabei entschied er sich für eine moderne Gestaltung des Gottesdienstes - und hat anstatt Psalmen lieber Passagen aus Homo Faber von Max Frisch vorgelesen. Auf die Idee hat ihn sein damaliger Pfarrer gebracht. "Er hat seine Predigten auch für Intellektuelle gehalten", erzählt er. "Da bin ich gerne in die Kirche gegangen." Zwar habe er auch heute noch eine große Affinität zu den Texten, die grundlegende Sichtweise der Kirche könne er aber nicht teilen. "Ich kann Jesus Christus nicht als eine Person sehen, die da oben ist und alle erlöst", sagt er. Auch bei aktuellen Diskussionen über das Erlauben weiblicher Priester oder der Abschaffung des Zölibats vertritt er einen liberaleren Standpunkt: "Als freiwilliges Angebot ist das Zölibat kein Problem, es sollte nur nicht erzwungen werden."

Katholische Gottesdienste besucht der Chorleiter mittlerweile nicht mehr regelmäßig, seine Frau begleitet er jedoch ab und an in evangelische Predigten. "Besonders die evangelische Kirche versucht, sich an eine moderne Sichtweise anzupassen." Obwohl er sich immer wieder mit der Kirche auseinandersetzt und teils mit ihrem Handeln hadert, sieht er einen Trumpf der Kirche: "Über die Jahrhunderte hat die Kirche weltlich gesehen einen großen Horizont bekommen."

© SZ vom 22.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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