SZ-Serie: Kaum zu glauben, Folge 9:"Es würde etwas fehlen"

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Ob mit Instrument oder Chor, als Darsteller im Krippenspiel oder einfach nur als Gottesdienstbesucher - junge Leute wie Tobias Juse, David Schwaiger und Melanie Rapp machen in der Christmette die größte Altersgruppe aus, wie eine Studie aus Neubiberg belegt

Von Julia Fietz

Jede Familie hat ihre eigenen Traditionen an Heiligabend. Die einen gehen spazieren, die anderen essen zur Bescherung Weißwürste und Brezn. Wieder andere schauen sich jedes Jahr "Michel aus Lönneberga" im Fernsehen an. Und noch etwas gehört bei vielen Menschen dazu - im Gegensatz zum Rest des Jahres: der Gottesdienstbesuch. Die Pfarrer und Pfarrerinnen im Landkreis haben jedenfalls alle Hände voll zu tun, sind doch die Kirchenbänke während der Feiertage so voll wie sonst nur an Ostern. Und es sind vor allem Familien, die kommen, egal ob ihre Kinder nun fünf oder 25 sind.

Die aktuelle Weihnachtsumfrage der Universität der Bundeswehr in Neubiberg hat ergeben, dass diese es sogar besonders gern tun - und häufig. Der Anteil der unter 30-Jährigen, der Generation Z, die angeben, dass der Kirchengang für sie zu Weihnachten dazugehöre, fällt im Vergleich zu den anderen Altersgruppen deutlich höher aus. Ob als Musiker, Chorsänger, Krippenspieler oder einfach nur als Besucher - junge Leute sind an den Festtagen auf fast allen kirchlichen Ebenen beteiligt.

Zum Krippenspiel gehören Maria, Josef und das Jesuskind dazu wie die Kugeln an den Weihnachtsbaum. Ein Ochse, ein Esel und vielleicht noch ein paar Schafe dürfen auch nicht fehlen. In der evangelischen Corneliuskirche in Neubiberg erleben anstelle der Heiligen Familie beim Krippenspiel für Jugendliche und Erwachsene drei WG-Mitbewohner ein wahres Weihnachtswunder: ein Influencer, der im Internet ein Leben zeigt, dass er gar nicht lebt; ein Paketbote, der auf ein Stipendium für das Grundschullehramtsstudium wartet und die Weihnachtslieder nicht mehr hören kann; und ein gläubiger Christ, der von einem Freund aufgrund seiner Homosexualität verurteilt wird und den Pfarrer um Rat bittet, wie er ihm verzeihen könne.

In Ottobrunn stimmt sich David Schwaiger (vorne) mit dem Jugendchor von St. Magdalena auf den Auftritt ein. (Foto: Claus Schunk)

"Wir wollen grundlegende Jugendthemen aufgreifen", erklärt Florian Schmid. Seit fünf Jahren ist der mittlerweile zum Schauspieler ausgebildete Ottobrunner beim alljährlichen Krippenspiel dabei. Heuer führt der 21-Jährige zusammen mit Tobias Juse aus Neubiberg Regie. Die beiden Freunde haben das Drehbuch verfasst und übernehmen die Rollen des Influencers und des gläubigen Christen. Das Krippenspiel für Jugendliche und Erwachsene gibt es seit mehr als zehn Jahren und ist traditionell unkonventionell. "Im letzten Jahr waren wir alle Engel", erzählt Tobias Juse. Gesellschaftskritisch werde es jedes Jahr. Die jungen Leute wollen zum Nachdenken anregen und Impulse für den Alltag setzen gegen Stereotype und Konsumwahn.

Für Florian Schmid bedeutet Weihnachten vor allem Zusammenhalt im Kreis geliebter Menschen. Hoffnung gehört auch dazu: "Das Herz aufmachen für Licht und Helligkeit." Heiligabend geht in seiner Familie mit Filmklassikern wie "Pippi Langstrumpf" los, erzählt Schmid. Vor der Bescherung am Abend werden alle Kinder aus dem Wohnzimmer gescheucht, damit das Christkind in Ruhe seine Arbeit verrichten kann. Ein Glöckchen klingelt, aber die Geschenke bleiben noch einen Moment eingepackt, erzählt der 21-Jährige: "Mein Vater spielt vorher erst noch 'Stille Nacht' und ist dabei immer ganz gerührt." Wie der Vater, so der Sohn: Auf die "schönen, schnulzigen Weihnachtslieder" mag auch Schmid keinesfalls verzichten.

"Stille Nacht" von Joseph Mohr ist eines der bekanntesten Weihnachtslieder der Welt. In der Sankt-Konrad-Kirche in Haar ist es jedes Jahr das letzte Lied, das beim Krippenspiel an Heiligabend gespielt wird. Die Lichter werden ausgemacht und im Kerzenschein spielen Klarinette und Geige das altbekannte Stück. "Das ist eine ganz besondere Stimmung", schildert Melanie Rapp. Alle freuten sich in diesem Moment schon auf das, was sie Zuhause erwartet. Die 17-Jährige spielt seit ihrer Kommunion die Geige in der Musikgruppe beim Krippenspiel. Während sie in der Kirche die Lieder zum Besten gibt, bereitet der Rest der Familie daheim alles für die Bescherung vor, erzählt die Schülerin. "Wenn ich nach Hause komme, ist die Wohnzimmertür zu und ich darf erst rein, wenn das Glöckchen klingelt."

Es wird geprobt für Heiligabend: Sarah Krause, Florian Schmid, Tobias Juse und Marc Troui (von links) üben in Neubiberg für ein modernes Weihnachtsspiel. (Foto: Claus Schunk)

Wenn sie auch ansonsten keine große Kirchengängerin ist, könnte Melanie Rapp auf den Weihnachtsgottesdienst einmal im Jahr nicht verzichten. "Es würde was fehlen." Ohne die Einstimmung auf das Fest durch die Messe sei Heiligabend nichts Besonderes mehr, findet die Musikerin. "Ich würde das sonst als netten Feiertag abstempeln, aber nicht als Weihnachten." Als "guter Christ" müsse man zwar eigentlich sagen, Weihnachten bedeute die Geburt Jesu, findet Rapp. Ihr sind jedoch andere Dinge wichtiger: "Ein Verbundenheitsgefühl mit Leuten, die mir nahestehen, und zur Ruhe kommen, Frieden finden."

Für David Schwaiger aus Neubiberg ist der Weihnachtsgottesdienst ein Stückchen Kindheit. Der 19-Jährige singt seit Sommer vergangenen Jahres im Kirchenchor und im Jugendchor der Sankt-Magdalena-Kirche in Ottobrunn. Mit dem Kirchenchor sang er 2018 auch zum ersten Mal in der Christmette. Auch wenn der Neubiberger an Weihnachten gern in der Kirche ist, zieht es ihn nur im Rahmen von Chorauftritten dorthin. Früher, das heißt vor dem Chor, ging die Familie immer gemeinsam vor der Bescherung im Wildpark Poing spazieren, erzählt Schwaiger. "Ich könnte auf das Zusammensein mit meiner Familie nicht verzichten."

Einmal im Jahr die ganze Familie aus allen Ecken Deutschlands zu sehen, ist auch für Jessica Höfling aus Höhenkirchen-Siegertsbrunn das Schönste an den Festtagen. Traditionell träfen sich alle bei ihrer Oma in Sachsen und gingen dort gemeinsam in die Kirche, sagt die 18-Jährige. Sie selbst besuchte heuer wegen des Abiturstresses nur an Weihnachten und Ostern den Gottesdienst. Das bedeute aber nicht, dass sie weniger gläubig sei, betont die Schülerin. "Beten und Gott nahe sein kann man bekanntlich überall."

In der nächsten Folge geht es kommende Woche um die Rolle moderner Technik in der Kirche.

© SZ vom 24.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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