SZ-Podiumsdiskussion zur Bundestagswahl:Politiker werden konkret

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Intensive Debatte über zentrale Zukunftsfragen: Bei der SZ-Podiumsdiskussion im Kultur- und Kongresszentrum Taufkirchen zwingt das Publikum die Direktkandidaten zur Bundestagswahl von CSU, SPD, Grünen, FDP, Freien Wählern und ÖDP zu eindeutigen Antworten

Von Iris Hilberth und Bernhard Lohr

Im Wahlkampf, Auge in Auge mit dem Wähler, betonen Politiker stets, sich für die Anliegen der Bürger einzusetzen. Doch was sind deren Anliegen eigentlich, was brennt den Menschen im Landkreis München auf den Nägeln, und was sagen die Kandidaten dazu? Bei der Podiumsdiskussion zur Bundestagswahl im Taufkirchner Kultur- und Kongresszentrum ließen sich die gut 500 Zuhörer am Mittwochabend nicht lange bitten, ihre Erwartungen an die Politik zu formulieren. Sie nahmen die Aufforderung von Moderator Lars Brunckhorst, dem Leiter der SZ-Redaktion Landkreis München, beherzt auf, die sechs Kandidaten auf ihre politischen Konzepte hin "abzuklopfen". Zahlreiche Wortmeldungen und 100 schriftlich formulierte Fragen zeigten, dass die Bürger den Dialog suchen. Auch von den knapp 2000 Leuten, die die Debatte live auf Facebook verfolgten, beteiligten sich einige an der Diskussion. Auf Einladung der Volkshochschule Taufkirchen und der Süddeutschen Zeitung saßen die sechs Direktkandidaten der im Kreistag vertretenen Parteien auf dem Podium: Florian Hahn (CSU), Bela Bach (SPD), Anton Hofreiter (Grüne), Jimmy Schulz (FDP), Ilse Ertl (Freie Wähler) und Katharina Graunke (ÖDP).

Das Interesse der Wähler war groß, sich darüber zu informieren, wofür die Kandidaten stehen. Zwei Stunden lang stellten diese sich den Fragen. (Foto: Claus Schunk)

Wohnungspolitik, Verkehr, Soziale Gerechtigkeit und auch die Frage, wie nah ein Politiker der Wirtschaft stehen darf, wurden thematisiert - und von den Politikern mit großer Ernsthaftigkeit beantwortet. Dass Bundespolitik nicht nur im entfernten Berlin stattfindet, wie sehr sie Menschen im Landkreis betrifft, und dass diese rasche Antworten auf ihre drängenden Fragen erwarten, wurde auch durch einen aufrüttelnden Auftritt einer Hebamme aus Taufkirchen deutlich. "Ich arbeite für 8,50 Euro in der Stunde und manchmal auch ehrenamtlich", sagte sie, berichtete über schwierige Arbeitsbedingungen und beklagte das "stillschweigende Sterben unseres Berufsstandes". Von den Politikern wollte sie wissen: "Wer macht es mir wieder möglich, die Familien in Taufkirchen wieder zu versorgen?" Sie forderte konkrete Unterstützung. Diese wurde zugesagt - von allen auf dem Podium. Eine solche Einigkeit aber gab es nicht in allen Fragen.

Bezahlbarer Wohnraum

Bela Bach forderte, die starren Regelungen des Baugesetzbuches aufzubrechen, um innovatives Bauen zu ermöglichen: in die Höhe, nachverdichtet und auch über Parkplätze hinweg. Hofreiter sagte, die "Wohnungsgemeinnützigkeit" müsse wieder eingeführt werden, um mehr Sozialwohnungsbau zu bekommen und zu verhindern, dass mehr Sozialwohnungen aus der Bindung fallen, als neue entstehen. Hahn wehrte sich gegen "Schubladendenken". Die Bürgermeister wüssten, was in ihren Gemeinden geschehen müsse. Und er sagte: "Ich kann nicht verstehen, warum die Stadt München nicht auch in die Höhe wächst."

Klimaschutz

Hofreiter bezeichnete den Klimawandel als "Turbo für alle Krisen dieser Welt". Bach beklagte gravierende Folgen durch den Klimawandel, Gletscher in den Alpen schmelzen. Sie machte sich - gerade beim Heizkraftwerk Nord in Unterföhring - für einen sozial verträglichen Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen stark. Das Kraftwerk sei von Greenpeace sogar als "besonders sauber" bewertet. Ein abrupter Stopp dort würde höhere MVV-Preise und Müllgebühren in München nach sich ziehen. Graunke meinte, mit einer "richtig gemachten Landwirtschaft" könne beim Klimaschutz viel erreicht werden. Es müsse "durchgreifend" etwas gemacht werden. Hofreiter forderte den schnellen Abschied aus der Kohlenstoff-Wirtschaft. Ertl sagte, ihre Partei wolle außer in der Bayerischen Verfassung den Klimaschutz als Ziel auch im Grundgesetz verankert sehen.

Mobilität der Zukunft

FDP-Mann Schulz zeigte sich offen für neue, moderne und für manch einen vielleicht verrückt klingende Konzepte: Ein senkrechtstartendes Flugobjekt etwa könnte er sich als Transportmittel der Zukunft vorstellen, mit dem man von der Innenstadt in München zum Flughafen komme. Eine Firma im Landkreis habe so etwas entwickelt. Es brauche Mut, Neues zu denken, sagte er. Hofreiter warf der Bundesregierung vor, zu wenig Geld für einen barrierefreien ÖPNV zur Verfügung zu stellen. Dabei sei sie der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet. Hahn kritisierte den schlechten Zustand vieler Bahnhöfe im Landkreis. Er setze sich mit Verkehrsminister Alexander Dobrindt für Verbesserungen ein: konkret gebe es jetzt Zusagen der Bahn für den Umbau in Ebenhausen-Schäftlarn. Die Elektromobilität haben Grüne und SPD auf ihrer Prioritätenliste. Bach gab zu bedenken, dass Elektroautos derzeit noch sehr teuer seien. Sie sprach sich für "Elektro-Volkswagen" aus, die sich jeder leisten kann. Hofreiter bezeichnete es als großen Vorteil von batteriebetriebenen Fahrzeugen, "dass sie so effizient sind". Die Frage "Woher kommt der Strom?" sei nur aus ökologischer Sicht relevant. Hahn hingegen findet, man könne das nicht so absolut sehen, "der Verbrennungsmotor bleibt uns erhalten".

Waffenexporte

Hahn musste sich wegen seiner früheren Tätigkeit als Aufsichtsrat bei dem Unternehmen IABG rechtfertigen. Mancher im Saal sah eine zu große Nähe zur Rüstungsindustrie. Hahns Rolle bei Waffenexporten kam zur Sprache, woraufhin dieser erläuterte, dass er als Mitglied des Verteidigungsausschusses der Legislative angehöre und nicht der Exekutive. Er trage als örtlicher Abgeordneter auch Verantwortung für die Mitarbeiter bei IABG. Eine Aufsichtsratstätigkeit sei eine Chance, in ein "Unternehmen hineinzuschauen". Hofreiter sagte, "es geht um eine relativ einfache Frage: Liefert man Waffen an ein Land wie Saudi-Arabien, das in einen schmutzigen Krieg in Jemen verwickelt ist?". Er forderte einen Stopp. Bach verlangte ein Verbot von Waffenexporten in Drittländer. Auch Schulz sagte: "Ich bin klar gegen Waffenexporte in Krisengebiete." Ertl sprach sich für "vollkommene Transparenz" bei Entscheidungen über Waffenexporte aus.

Soziale Gerechtigkeit

Bach nannte die "Missachtung sozialer Berufe" einen Skandal. Es gehe um Menschen, die "unsere Gesellschaft im Grunde zusammenhalten". In schlecht bezahlten, sozialen Berufen, die oft Frauen ausübten, müsse die Tarifbindung gestärkt werden. Hofreiter verwies auf Erkenntnisse aus der "Gemeinwohlökonomie", die Ideen entwickle, wie eine Gesellschaft ohne stetes Wachstum wohlhabend bleibe. Hahn bestritt unter Verweis auf eine Studie, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter aufgeht. Er plädierte jedoch dafür, Menschen in gesellschaftlich wichtigen, aber schlecht bezahlten Berufen zu unterstützen; etwa durch den Bau günstiger Wohnungen. Graunke will einen Mindestlohn von mindestens zwölf Euro. "Das Geld ist da, nur nicht an dieser Stelle."

Bildung

Florian Hahn sprach von einer speziellen Situation im Großraum München durch den starken Zuzug von Familien mit Kindern, die beschult werden müssten. Der Landkreis steuere entgegen und bringe fast jedes Jahr eine neue Schule auf den Weg. Schulz versprach: "Besser ausgestattete Schulen, mehr Schulen. Wir wollen 1000 Euro für jeden Schüler ausgeben." Er sprach sich ebenso wie Hofreiter und Bach dafür aus, das Kooperationsverbot aufzuheben, das verhindert, dass der Bund Schulen mitfinanziert. Bach sagte: "Es darf nicht vom Zufall eines Wohnorts abhängen, wie gut oder schlecht eine Schule ausgestattet ist." Auch Graunke sprach sich für eine Erhöhung der Ausgaben für die Bildung aus, "das Geld muss gebunden an die Kommunen weitergegeben werden".

Verkehrskonzepte

Schulz hat sich festgelegt: Er will den "Ringschluss der A 99", wenn irgend möglich mit einem Tunnel durchs Isartal. Genau so will Bach die offensichtlichen Verkehrsprobleme im Landkreis München nicht gelöst sehen. "Niemals" werde sie dem Autobahn-Südring zustimmen, vielmehr sprach sie sich für einen S-Bahnring um München aus. Hahn unterstrich die hohen Summen, die Bundesverkehrsminister Dobrindt für Verkehrsprojekte in Bayern und im Landkreis München herausgeschlagen hat. Würde man die A 99 nicht ertüchtigen, käme irgendwann der Autobahn-Südring, meinte er. Hofreiter nahm den Bund in die Pflicht, als Eigentümer der unterfinanzierten Deutschen Bahn mehr Geld zur Verfügung zu stellen. "Verdammt noch mal, da kann man was machen." Schließlich besitze der Bund hundert Prozent der Aktien, "bei einer Aktionärsversammlung trifft sich also der Bundesverkehrsminister mit sich selbst", so Hofreiter. Auch die Kommunen bräuchten mehr Geld für ihren Öffentlichen Personennahverkehr. Graunke pochte darauf, Alternativen zum eigenen Auto für die Menschen finanziell attraktiver zu machen. Ertl will durch eine Stärkung des ländlichen Raums, etwa durch Breitbandausbau, Menschen in dünner besiedelten Regionen halten und so Verkehr reduzieren.

Dieselskandal

Schulz bezeichnete Automanager, die Verbraucher getäuscht hätten, als Täter, die zur Rechenschaft gezogen werden müssten. Ein Dieselfahrverbot lehnte er ab, weil dieses einer "Enteignung der Betrugsopfer gleichkäme". Hofreiter forderte, die Politik müsse sich "endlich trauen, sich mit der Autoindustrie anzulegen". Die Bundesregierung verhindere sogar, dass Privatleute ihre Autos selbst nachrüsteten, weil sie entsprechenden Nachrüstsätzen die Zulassung verweigere. Hahn lehnte eine Vorverurteilung von Managern ab und bezeichnete es als Sache der Justiz, mögliche strafrechtliche Verfehlungen zu ahnden. Er appellierte, genau hinzuschauen. Gegen den Autobauer BMW gebe es keine Vorwürfe. Es gehe dort um viele Arbeitsplätze. Ertl schlug vor, bei Diesel-Nachrüstungen Verbrauchern eine Garantie zu gewähren; nicht dass es nicht bei Versprechungen bleibe.

Schlussworte

Graunke rief die Besucher auf, ihre Stimmen der "einzigen Partei" zu geben, "die sich nicht verdeckt finanzieren lässt". Sie stehe für eine verantwortungsvolle Politik für Klima, Umwelt und eine neue Landwirtschaft. Ziel sei die Stärkung der Familien, der Erziehung und Pflegearbeit. Ertl warb für eine "lobbyfreie Politik". Hofreiter rief zur Stimmabgabe am 24. September auf, um den erstmaligen Einzug einer rechtsradikalen Partei in den Bundestag zu verhindern. "Gehen Sie wählen." Die Demokratie müsse verteidigt werden, rief er. Bach will Generationengerechtigkeit neu definieren und den Blick in die Zukunft richten. "Bildung sollte unser eigentlicher Antrieb und Motor sein." Hahn sagte, er habe sich mit Leib und Seele reingehängt die vergangenen acht Jahre und wolle das weiter tun. Er wolle in Deutschland für mehr Sicherheit sorgen, die Familien stärken und dank sprudelnder Steuereinnahmen den Bürgern etwas zurückgeben. Er kündigte eine Steuerentlastung von 15 Milliarden Euro an. Es sei eine große Gefahr, sagte er, zu wenig Acht auf Europa zu geben. "Ich werde mich für ein gemeinsames Europa einsetzen." Schulz bezeichnete gute Startchancen für Kinder als zentral. Er forderte Chancengerechtigkeit im Bildungssystem. Der Umbruch aller Lebensbereiche durch die Digitalisierung müsse politisch begleitet werden, um sicherzustellen, dass alle gleichberechtigt teilhaben könnten.

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(Foto: Claus Schunk)

Katharina Graunke tritt für die ÖDP als Direktkandidatin an.

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Florian Hahn sitzt seit acht Jahren für die CSU im Bundestag.

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Anton Hofreiter ist Fraktionschef der Grünen im Bundestag.

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Jimmy Schulz hofft mit der FDP auf eine Rückkehr in den Bundestag.

Ilse Ertl hofft auf den Einzug der Freien Wähler in den Bundestag.

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(Foto: Claus Schunk)

Bela Bach kandidiert für die SPD zum zweiten Mal.

Der gespeicherte Live-Stream der Podiumsdiskussion kann jederzeit auf der Facebook-Seite der SZ unter www.facebook.com/SZLandkreisMuenchen aufgerufen und angeschaut werden.

© SZ vom 15.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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