Stadtplanung:Wohnungstausch als Zukunftsmodell

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Die Gemeinden Haar und Neubiberg beteiligen sich an einer Studie für Mobilitäts- und Siedlungsstrategien. Ziel ist, bestehende Quartiere besser zu nutzen statt Neubaugebiete zu errichten - und dadurch CO₂ zu vermeiden

Von Bernhard Lohr, Haar/Neubiberg

Eine Pendler-Magistrale mit viel Verkehr: die B 304 in Haar. (Foto: Angelika Bardehle)

Eine griffige Formulierung hilft manchmal weiter als tausend Zahlen und Diagramme. Wenn Stadtplaner von "Witwenstraßen" sprechen, dann klingt das zunächst mal nicht wissenschaftlich korrekt. Doch es beschreibt ein weit verbreitetes Phänomen, das gerade in einem Verdichtungsraum wie der Region München zu Problemen führt. Gerade ältere Menschen, aber auch viele Alleinstehende leben in Häusern und Wohnungen, die sie in dieser Größe nicht mehr brauchen. Nicht selten sind diese Immobilien längst zur Last geworden. Doch das gewohnte Leben gibt man nicht einfach so auf.

Jedenfalls hat sich in Haar zuletzt gezeigt, dass es zu kurz gedacht war zu glauben, man könne mit einem Angebot ältere hilfsbedürftige Menschen dazu bewegen, sich einen jungen Studenten oder Auszubildenden in die eigenen vier Wände zu holen. Das Projekt "Wohnen für Hilfe" wurde nicht angenommen. Woran das liegen könnte, interessiert Stadtplaner, Rathausverwaltungen und Leute wie Stephan Schott, der beim Planungsreferat der Stadt München das EU-Projekt Astus betreut.

In einer Modellregion, in der die Gemeinden Haar und Neubiberg beteiligt sind, untersucht Schott, wie sich zeitgemäße Mobilitäts- und Siedlungsstrategien entwickeln lassen. Ein zentraler Punkt dabei ist herauszufinden, wie Menschen zu vernünftigem Handeln bewegt werden können. Deshalb ist ein Verhaltenspsychologe an dem Programm beteiligt und arbeitet an den Konzepten mit.

Stephan Schott ist nach einer Reihe von Untersuchungen zu dem Schluss gekommen, dass ein Appell an Vernunft oder an finanzielle Vorteile oft nicht zum Ziel führt. "Der homo oeconomicus existiert nicht", sagt er und beruft sich dabei auf die Studien des Wirtschafts-Nobelpreisträgers und US-Verhaltensökonomen Richard Thaler, der Entscheidungsprozesse von Individuen untersucht hat. Entschieden werde oft aus dem Bauch heraus, sagt Schott. Um Menschen zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, müsse man sie deshalb auf der Gefühlsebene ansprechen. Als Beispiel erzählt er die Geschichte eines älteren Paars, das sein Haus in Gröbenzell aufgegeben hat und nach Schwabing in ein Apartment gezogen ist. Ausschlaggebend für ihre Entscheidung sei der Gewinn an Komfort gewesen. Statt im Garten zu arbeiten, sitzen beide jetzt im Café.

Dabei geht es im Astus-Programm nicht nur um die Wohnsituation von Senioren. Und es soll nicht aus der hohlen Hand argumentiert werden. In Neubiberg lief eine Bürgerbefragung, in Haar werden noch bis Ende Januar Stimmen und Meinungen eingeholt. Dabei kam laut Schott unter anderem auch heraus, dass das "Wohnen für Hilfe"-Angebot auch für Haushalte mit Kindern attraktiv wäre. Daneben wird auch untersucht, unter welchen Bedingungen in Wohnanlagen ein Wohnungstausch klappen kann; also eine Familie raus aus dem Zwei-Zimmer-Apartment und rein in die Vier-Zimmer-Wohnung, in dem ein Alleinstehender lebt. Bei der Wogeno-Genossenschaft habe sogar ein Tausch mit drei beteiligten Parteien geklappt, erzählt Schott. Gute Beratung sei dabei wichtig gewesen. In dem Fall habe aber auch ein finanzielles Argument gezogen: Die Quadratmetermiete blieb beim Wohnungswechsel fix und wurde nicht, wie sonst oft üblich, angehoben.

Insgesamt soll vorhandener Wohnraum besser genutzt werden, um Kohlendioxid verursachenden Neubau zu vermeiden. Bestehende Wohngebiete sind in der Regel besser mit Infrastruktur versorgt als Neubaugebiete. Konkret könnte ein Wohnraum-Informations-System aufgebaut werden, das Wohnungstausch, Mitwohnen und den Umbau untergenutzter Häuser erleichtert. Man könnte dabei von anderen lernen, wie der Stadt Salzburg, die ein Leerstandsregister bei Wohnungen führt.

Wohnen und Verkehr bilden bei Astus - wie beim Vorgängerprogramm Moreco - zwei Seiten einer Medaille. Im Raum Ebersberg läuft unter Federführung des Münchner Verkehrs- und Tarifverbunds eine Astus-Studie, bei der versucht wird, Carsharing-Angeboten zu mehr Anklang zu verhelfen. So soll laut Schott bei Neubaugebieten Carsharing gleich mit angeboten werden. Mitte Februar möchte Schott erste Ergebnisse seiner Untersuchungen vorstellen. Das Projekt läuft bis 31. Oktober 2019.

© SZ vom 17.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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