Spekulationen um das X-Cess:Der Häuptling trommelt wieder

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Er war der Herr über Münchens bekannteste Absturzkneipe - jetzt grinst Ismail "Isi" Yilmaz wieder: Nach dem jähen Aus des "X-Cess" hat er offenbar ein Lokal ganz in der Nähe ausgespäht.

Sebastian Krass

So ganz losgekommen ist er vom alten Karree noch nicht. Es ist erst zwei, drei Wochen her, da kurvte Ismail Yilmaz - den aber wirklich niemand so nennt -, da kurvte also Isi vormittags mit dem Auto um die Ecke Jahn-/Kolosseumstraße. Keine drei Minuten später kam er zum zweiten Mal vorbei. Diesmal stellte er sein Auto ab und schneite mit einem breiten Grinsen bei der Fahrradwerkstatt herein, die direkt neben seinem alten Reich liegt. Der ehemalige Nachbar hatte nur gerade keine Zeit für einen Plausch. Aber der Nachbarshund erkannte Isi auch sofort wieder und ließ sich auf ein paar Späße ein.

Häuptling über Münchens bekannteste Hölle: Ismail Yilmaz, den seine Indianer nur Isi nennen. (Foto: Stephan Rumpf)

Immer fröhlich, so gibt sich Isi in der Öffentlichkeit, bloß nichts anmerken lassen. Dabei ist dieses Eck für ihn ein trauriger Ort. Es ist ja auch kläglich, was von seinem alten Reich übrig ist: Hinter der Fensterfront liegt ein verlassener Raum, ausgeräumt und abgerockt, ein Sanierungsfall.

Binnen ein paar Jahren wurde das X-Cess von der ehemaligen Dönerbude zur wohl berühmtesten Absturzkneipe Münchens - seit Mai ist es Geschichte. "Außen Puff, innen Hölle", lautete Isis Slogan. Doch die Nachbarn wollten weder Puff noch Hölle in ihrer Straße, sondern ihre Ruhe. Als das Haus auch noch neue Eigentümer bekam, musste das X-Cess dichtmachen. Der Protest von Tausenden im Internet half nichts. Seitdem war Isi auf der Suche. Die Geschichte konnte doch nicht einfach zu Ende sein, es ist schließlich auch seine Geschichte. Nur wann soll es weitergehen, und wo?

Nun hat Isi Antworten auf diese Fragen. "Vom alten X-Cess 500 Meter Luftlinie Richtung Hauptbahnhof" soll sein neues Reich entstehen. Also im Bereich Sonnenstraße. Genauer will er es noch nicht sagen, aus Rücksicht auf die Behörden, wie er betont. Er braucht noch ein paar Genehmigungen.

Aber das ist sicher nicht der einzige Grund für die Zurückhaltung. Isi will die Leute auch ein bisschen zappeln lassen - und sie gleichzeitig Stück für Stück anfüttern. Da passt es ganz gut, dass im Internet seit ein paar Tagen die ersten Hinweise kursieren. Auf Youtube steht ein "X-Cess München Trailer" ohne weitere Details. Auf Isis Facebook-Seite will sich einer schon auf der neuen DJ-Liste eintragen lassen. "Bleibt mal cool, Bubsis", antwortet Isi. Einer anderen Anhängerin schrieb er: "Bald lassen wir es krachen." Inzwischen nennt er schon grob einen Termin: "Ich wollte eigentlich im Dezember aufmachen, aber jetzt wird es wahrscheinlich Januar."

Und was soll sich ändern? So wenig wie möglich. Isi ist keiner von den Gastronomen, die an neue Konzepte denken. Im Gegenteil: Einer, der immer noch dem alten X-Cess nachtrauert, hat auch ein halbes Jahr später nur dieses eine Konzept. Der Name "X-Cess" wird bleiben. Und die Belegschaft nach Möglichkeit auch: "Wenn jemand wieder mitmachen will, soll er vorbeikommen", sagt Isi. Aber damit eins klar ist: "Partner gibt's bei Isi nicht. Ich bin der Häuptling", sagt er. Das Wort Chef mag er nicht.

Wie früher sollen die Gäste die Musik machen: Sie können sich im Kalender eintragen und, wenn ihr Tag gekommen ist, auflegen, was sie wollen. Siebziger-Jahre-Krautrock, Achtziger-Jahre-Power-Metal, Neunziger-Jahre-Kirmestechno, alles schon gehört. "Wem die Musik nicht gefällt, der soll abhauen", sagt Isi. Auch die Möbel will er sich wieder auf dem Sperrmüll zusammensuchen. Ein bisschen mehr Platz hat das neue Lokal, "zehn Quadratmeter vielleicht", sagt Isi. Es ist also immer noch eine ziemlich kleine Kneipe, die sehr schnell sehr, sehr voll werden kann.

Aber ob das alles so funktioniert, wie Isi sich das vorstellt? Einerseits gilt für Kneipen ja auch, was man über Filme sagt: Das Remake ist selten so gut wie das Original. Andererseits: Der Abschiedsschmerz der X-Cess-Indianer war enorm, und jeden Abend lodert er irgendwo wieder auf. Es ist immer die gleiche Szene: Mitternacht ist schon ein, zwei Stunden her, aber die innere Stimme sagt den Menschen sehr bestimmt, dass der Abend noch längst nicht vorbei ist. Aus dieser Melange entsteht ein Dialog. Frage: Und, wohin jetzt? Antwort: Hm, ach wäre das X-Cess doch noch da.

Es könnte also klappen, wie Isi sich das vorstellt, eigentlich kann es gar nicht schiefgehen - wenn die Sache mit den Behörden und den Nachbarn gut geht. Aber dafür stehen die Chancen jetzt sicher besser, 500 Meter Luftlinie Richtung Hauptbahnhof entfernt vom alten Karree.

© SZ vom 07.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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