Serie: Schauplätze der Geschichte:Die Schlagadern des Imperiums

Lesezeit: 4 min

Fernstraßen hielten das Römische Reich lange Zeit zusammen. Eine davon führt schnurgerade durch den Hofoldinger Forst. Über ihre Bedeutung streiten sich die Gelehrten. Sicher aber ist, dass trotz des gut ausgebauten Verkehrsnetzes im 3. Jahrhundert die Herrschaft der Caesaren allmählich zu bröckeln begann

Von Iris Hilberth

Als Julius Kardinal Döpfner vor vielen Jahren die Gemeinde Hofolding besuchte, hatten er und sein Chauffeur die Wanderschuhe im Gepäck. Irgendwo hier im Münchner Süden, hatte sich der bergbegeisterte Kirchenmann gedacht, lassen sich doch jenseits des Protokolls ein paar naturnahe und fröhliche Höhenmeter zurücklegen. Die Hofoldinger zeigten ihm damals stolz ihre Römerstraße im Forst. Schnurgerade, gut befestigt, schattig, übersichtlich. Doch so historisch bedeutend diese alte Fernverbindung zwischen Augsburg und Salzburg auch war, dem Kardinal und seinen Wanderansprüchen erschien das Vermächtnis römischer Straßenbaukunst irgendwie zu langweilig. "Er packte die Wanderstiefel wieder ein und fuhr ins Mangfalltal", erinnert sich Ortschronist Rudolf Krautsieder.

Dabei hat die altehrwürdige römische Fernstraße zwischen Augusta Vindelicorum (Augsburg) und Iuvavum (Salzburg) einiges zu bieten, quert sie doch bei Grünwald die Isar und führt über Kleinhelfendorf und Pfaffenhofen im Landkreis Rosenheim zum Nordende des Chiemsees nach Seebruck, das die Römer einst "Bedaium" nannten und wo ein Römer-Museum Fundstücke aus jenen Tagen präsentiert. Krautsieder selbst jedenfalls spaziert gerne auf der alten Römerstraße; auch mit dem Rad, findet er, könne man entlang der alten Fernverbindung wunderbare Ausflüge unternehmen. Kein Wunder: Hatten doch Tourismusfachleute, Heimatpfleger und Landratsämter entlang der Trasse vor bald 15 Jahren beschlossen, den römischen Weg für Radwanderer wiederzubeleben. Seither kann man auf 311 Kilometern von Günzburg über Augsburg nach Salzburg den Schildern der "Via Julia" folgen.

Ortschronist Krautsieder, einst Brunnthaler Schulleiter, war anlässlich der Kapellenrenovierung in seinem Heimatort Anfang der Siebzigerjahre tief in die Geschichte von Hofolding und Faistenhaar eingetaucht - letztlich so tief, dass er das erste Kapitel seiner Ortschronik mit "Römisches Erbe" überschreiben konnte. Wobei er zugibt :"Die einzige Verbindung unserer Gemeinde zu frühgeschichtlichen Zeiten ist durch die Römerstraße gegeben." Dass dieser wie mit dem Lineal gezogene Weg, der rund einen Kilometer südlich der Gemeindeflur zwischen Prielweg und Markweg den hochstehenden Fichtenwald in nordwest- und südöstlicher Richtung durchschneidet, ein Teil der Lebensader des Römischen Reichs war, davon zeugen verschiedene Funde entlang der gut fünf Meter breiten "Straße". Als künstlicher Damm angelegt, bestanden diese Wege aus einem Steinfundament, mehreren Kiesschichten und einer Abdeckung aus Kies und Sand, mitunter waren sie auch mit Steinen gepflastert. Im Hofoldinger Forst zeugen vor allem an der Südflanke der Straße zahlreiche Gruben mit unregelmäßigen Formen davon, dass die Römer hier einst das Material zur Dammaufschüttung aushuben. Auch die so typische gradlinig verlaufende Wegführung ist im Hofoldinger Forst noch hervorragend zu sehen. Der Wald selbst - den es laut Krautsieders Chronik erst seit dem 18. Jahrhundert gibt - war es, der die Römerstraße in Südosten des Landkreises München "vor Überackerung geschützt und sie weitgehend in ihrer ehemaligen Form konserviert" hat. So erklären es die entlang des Weges aufgestellten Infotafeln des Landratsamtes München, die allerdings schon etwas in die Jahre gekommen sind und um deren Erhalt sich seit ihrer Aufstellung 1989 anscheinend niemand wirklich kümmert. Doch auch wenn die Schilder bemoost oder aus der Verankerung gerissen sind, lässt sich immerhin noch nachlesen, dass hier "die wichtigste Ost-West-Verbindung der römischen Provinz Rätien" verlief, und dass diese Römerstraße etwa 200 nach Christus entstanden sein soll. Durch die ewig lange Gerade sieht man in der Gegenwart die Radfahrer schon von weitem herannahen, für die Römer bot sich durch den enormen Sichtkontakt damals bereits die Möglichkeit einer ausgereiften Kommunikation - so konnten durch Rauch- und Spiegelzeichen Informationen weitergegeben werden. Wie wichtig das war, zeigte sich im weiteren Verlauf des 3. Jahrhunderts: Während allerlei römische Usurpatoren, die sogenannten Soldatenkaiser, damit beschäftigt waren, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, durchbrachen erstmals germanische Stämme den bis dahin schützenden Limes und drangen weit in die römische Provinz ein. Es war die erste große Krise des Imperiums.

Ein noch erhaltener römischer Meilenstein aus dem Hofoldinger Forst steht heute in der Eingangshalle zur Prähistorischen Staatssammlung in München. Die Inschrift ist teilweise beschädigt, vielfach wurden Abkürzungen verwendet. Forscher haben sie sinngemäß ergänzt und damit wurde deutlich, dass dieser Stein 60 Meilen von Augsburg, also etwa 89 Kilometer, entfernt stand und dass "Der Herrscher und Caesar Septimius Severus" einst diese Straße hat bauen lassen. Tatsächlich hatte er in den Jahren um 200 nach Christus festgestellt, dass das Straßennetz dringend renoviert werden musste und deshalb die Fernverbindungen ausbauen lassen.

Doch so schön diese Geschichte von der bedeutenden Militär- und Handelsstraße direkt vor der Haustür auch ist und die Bedeutung der kleinen Gemeinde geschichtlich aufwertet - Krautsieder weiß auch, dass es inzwischen andere Forschungsergebnisse gibt, die der Trasse durch den Hofoldinger Forst zwar nicht den römischen Ursprung, gleichwohl aber ihre herausragenden Rang absprechen.

Der Erdinger Historiker Hans Bauer hat sich intensiv mit den römischen Fernstraßen und deren Verlauf durch Bayern beschäftigt. Als ehemaliger Hauptmann der Bundeswehr und späterer Gymnasiallehrer für Geschichte hatte ihn vor allem die militärische Sicht interessiert. Er hat sich dabei weniger von den archäologischen Funden leiten lassen, als vielmehr von den Aufzeichnungen, die zu diesem Thema existierten. "Zurück zu den Quellen" lautete seine Devise, daher nahm Bauer die "Tabula Peutingeriana", eine mittelalterliche Abschrift eines römischen Straßenverzeichnisses aus dem 3. Jahrhundert, sowie die "Itinerarium Antonini", ein tabellarisches Straßenverzeichnis, genauer unter die Lupe. Was ihm dabei auffiel, dürfte die Vermarkter der heutigen "Via Julia" nichtfreuen. Denn laut Bauers Erkenntnissen verlief die Hauptroute zwischen Salzburg und Augsburg über Wasserburg, Isen, Erding und Dachau - und damit weit entfernt vom Hofoldinger Forst. Natürlich gab es heftige Kritik, vor allem die Archäologen zweifelten das Quellenstudium des Erdinger Historikers an. Doch will Bauer mit seinem "neuen Ansatz" keineswegs der alten Trasse ihre Authentizität absprechen. Aber, so definiert er seine Sicht der Dinge : "Es gab damals sehr viele Straßen durch das Römische Reich."

Am Wochenende: In Grünwald suchen im 4. Jahrhundert die letzten Römer Schutz.

© SZ vom 22.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: