Schülertheater:Ohne den Puffer der Betroffenheit

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Schüler aus Eersterivier in Südafrika und Unterschleißheim haben ein Theaterstück aus Biografien von Flüchtlingen erarbeitet. "Scenes of Migration" entwickelt beeindruckende Direktheit und Tiefe. Am Freitag ist es im Lohhofer "Gleis 1" zu sehen

Von Franziska Gerlach, Unterschleißheim

Die Einsamkeit kommt mit Rammstein. In irgendeiner Ecke der Bühne summt eine Frauenstimme ein Lied der deutschen Rockband, Gott weiß, ich will kein Engel sein, summt die Einsamkeit herbei, die den Flüchtling in seiner Unterkunft wie ein bleischwerer Umhang zu erdrücken droht. Der Junge sitzt auf dem Boden, die Knie an den Körper gezogen. Er möchte Kontakt, so ist es ja nicht, vor allem mit diesem deutschen Mädchen würde er sich gerne anfreunden. Doch ihre Sprache, die beherrscht er nicht.

In drei Kapiteln - "War", "On the run" und "Welcome" - singen, tanzen und spielen die Schüler aus Südafrika und Bayern nicht eine große Geschichte, sondern viele kleine. (Foto: Robert Haas)

"Scenes of Migration" heißt das Bühnenstück, das Schüler des Carl-Orff-Gymnasiums in Unterschleißheim gemeinsam mit Schülern von der Eersterivier Secondary School aus Südafrika bei einem Austausch im April 2017 erarbeitet haben. Und dessen weiterentwickelte Fassung die Gruppe nun, da die jungen Südafrikaner aus einem Vorort von Kapstadt mit ihren Lehrern zu Besuch in Deutschland sind, mehrmals aufführen. Vorstellungen gab es bereits im Volkstheater in München und sogar in Berlin, an diesem Donnerstag ist eine in Dachau und am Freitag in Unterschleißheim. Zwei Wochen lang haben die Schüler zusammen gewohnt und gearbeitet, erzählt Michael Blum. Der Lehrer unterrichtet am Carl-Orff-Gymnasium in Unterschleißheim Mathematik, Katholische Religion - und eben Theater. Gemeinsam mit seiner Frau und Kollegin Stefanie Höcherl betreut er das südafrikanisch-deutsche Projekt. Er sagt: "Das Thema Flucht haben die Schüler gewählt, weil es eben beide Länder beschäftigt." Denn Flüchtlinge gibt es hier wie da, und wenn man sich auch tunlichst davor hüten sollte, mit dem Finger auf andere zu zeigen, so zeigt "Scenes of Migration" deutlich, dass lange Warteschlangen auf Ausländerbehörden und Fremdenhass kein rein europäisches Phänomen sind. Die Szenen, die die Schüler aus ihren Ländern zusammengetragen haben, entwickeln mit Verlauf des Stücks eine Tiefe, die man den jungen Leuten, zwischen 16 und 18 Jahre alt, nicht zugetraut hätte.

Die Eindrücke prasseln ungefiltert auf den Zuschauer ein, ohne den Puffer der Betroffenheit. (Foto: Robert Haas)

In drei Kapiteln - "War", "On the run" und "Welcome" - singen, tanzen und spielen sie nicht eine große Geschichte, sondern viele kleine. Um Mord und Krieg geht es auf der Bühne, um das Warten in den Lagern, um Bestechung und Korruption, um Hoffnung und Erniedrigung und die Angst vor dem Morgen, die den Fluchtweg begleitet wie ein lästiges Insekt. Erfreulicherweise kommt das Stück ohne künstliche Schwere aus, und gerade durch die afrikanisch inspirierten Tanzeinlagen erhält das Spiel Tempo und Pepp. Auch wird hier nichts ausgelassen oder beschönigt, Bomben fallen und Granaten, das Geräusch von Maschinengewehren imitieren die jungen Schauspieler mit den Lippen.

Temporeich, ohne Beschönigung und mit starken choreografischen Elementen spielen die Darsteller. (Foto: Robert Haas)

Die Eindrücke prasseln ungefiltert auf den Zuschauer ein, ohne den Puffer der Betroffenheit, und es ist wohl gerade diese Direktheit, aus der sich die Empathie für die Protagonisten nährt: Da wäre die syrische Mutter mit ihren Kindern, die ihrem Mann auf einem wackeligen Boot nach Europa folgt. Der Schwarze, der den Weißen in Südafrika beim Supermarkt hilft, ihre Tüten ins Auto zu hieven. Und da ist immer wieder die Geschichte von Abdi, die sich erst am Ende des Stücks zum großen Ganzen fügen soll. Abdi ist vor dem Bürgerkrieg in Somalia geflohen, wo er als Kindersoldat seine eigene Tante erschießen musste. Er geht nach Südafrika, mit der Hoffnung auf ein besseres Leben. Doch nach der Ankunft wird alles noch schlimmer, er hat keine Arbeit, keine Freunde, keinen Halt. Seine Familie in Somalia scheint von seinen Sorgen nichts zu ahnen, schließlich lebt er jetzt in Südafrika, dem Land von Nelson Mandela, und der hat ja immerhin die Apartheid bekämpft. Doch damit nicht genug, bringen sie auch noch Forderungen an. "Hey Abdi, don't forget to buy me a cell phone!", sagt die Schwester am Telefon. Vergiss ja nicht, mir ein Handy zu kaufen. Kein Bitte, und auch kein Danke.

Es ist eine der stärksten Szenen überhaupt. Die Schüler hätten nicht nur in Zeitungen recherchiert, sondern in den Texten auch eigene Erfahrungen verarbeitet, erzählt Blum. Ein Junge etwa, dessen Stiefvater aus Zimbabwe geflohen war, habe gemeint, er könne diesen nun viel besser verstehen. Natürlich gibt es auch auf der Bühne diese Momente, in denen das Korsett eines gesellschaftlich tief verwurzelten Rassismus unverhofft aufplatzt, etwa wenn die weiße Frau den schwarzen Mann fragt, ob er ein paar Bücher geschenkt haben möchte, sie werfe die sonst weg. Der Sieg des Guten über das Böse, der will bei einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den vielen Gesichtern der Migration wohl dosiert sein. Und wenn der gemeine Westeuropäer in diesem besonderen Theaterstück auch einiges lernen kann über Afrika, so bleibt am Ende doch die Gewissheit: Geschichten wie die von Abdi sind real, und leider gehen sie viel zu selten gut aus.

"Scenes of Migration", Aufführung am 6. Juli im Jugendzentrum "Gleis 1", Hollerner Weg 1 in Lohhof-Unterschleißheim, Beginn 19 Uhr.

© SZ vom 05.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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