Schülerprognosen:Oft fehlen die Daten

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Wie viele Schüler kommen wirklich in den nächsten Jahren? (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Schülerzahlen im Landkreis sollen massiv steigen. Aber wie zuverlässig sind die Prognosen wirklich? Kreispolitiker haben zum Teil ihre Zweifel und auch die Fachleute räumen Irrtümer ein

Von Stefan Galler und Iris Hilberth, Landkreis

"Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen." Ob dieses Zitat tatsächlich von Karl Valentin stammt oder doch von Mark Twain, Winston Churchill, Niels Bohr oder Kurt Tucholsky - Christian Rindsfüßer geht es immer wieder gerne über die Lippen. Ein kleiner Scherz am Rande, wenn der Leiter des Instituts für Sozialplanung, Jugend- und Altenhilfe, Gesundheitsforschung und Statistik - kurz SAGS - erklären soll, warum sich doch etwas anders entwickelt hat, als seine Vorausberechnungen Jahre zuvor ergeben hatten. Das kommt durchaus vor.

Der Mann aus Augsburg ist gut im Geschäft, zahlreiche Kommunen setzen auf den Diplom-Statistiker und seine Firma, wenn es darum geht, die Zukunft möglichst nicht am Bedarf vorbeizuplanen. Bei Bevölkerungsprognosen, Schulbedarfs- und Jugendhilfeplanung, bei Seniorenpolitischen Gesamtkonzepten und der Frage nach dem zukünftigen Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen hat das 2002 gegründete Institut lange Listen mit Kunden, darunter der Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum München und der Landkreis München. Wenn sich die Frage stellt, ob, wann und wo wieder eine neue Schule gebaut werden soll, sind Rindsfüßer und sein Team gefragt, künftige Schülerzahlen, Einzugsgebiete und Bevölkerungsprognosen festzulegen. Allerdings ist Kritik an der Arbeit von Rindsfüßer und seinem Institut in den politischen Gremien keine Seltenheit. Die Komplexität der Untersuchungen gerade bei der Schulbedarfsplanung führt dazu, dass Ungenauigkeiten und Fehler praktisch zum Geschäft gehören. Und so muss Rindsfüßer bisweilen ein dickes Fell haben, wenn er sich den Lokalpolitikern stellt.

Als im März die Fortschreibung des Schulbedarfsplanes im Ausschuss für Bauen und Schulen des Landkreises München erstmals vorgestellt wurde, verglich der SAGS-Chef die Zukunftspotenziale der Gymnasien in Ismaning und Unterföhring. Und wies für Ismaning, wo seit dem Start des laufenden Schuljahres die ersten Vorläuferklassen unterrichtet werden, bis zum Jahr 2035 nur 797 Schüler aus. Dagegen prognostizierte er für die Unterföhringer Lehranstalt, die voraussichtlich erst 2020 eröffnet, 1616 Gymnasiasten. Das liege vor allem daran, so Rindsfüßer, dass Unterföhring näher an München ist. Da meldete sich Ismanings Bürgermeister Alexander Greulich (SPD) zu Wort und verwies die Prognosen schon alleine deshalb ins Reich der Fabel, weil man in Ismaning jetzt mit der 7. Klasse in den Hauptbau wechsle, "während Unterföhring noch plant".

Greulich nahm Rindsfüßers Simulation auseinander: "200 Münchner Kinder sollen im Jahr 2035 nach Unterföhring gehen und null nach Ismaning? Das wundert mich schon." Der Rathauschef argumentierte mit den geplanten Wohngebieten in den Münchner Stadtteilen Johanneskirchen und Englschalking, die viele zusätzliche Gymnasiasten auch in seine Gemeinde bringen würden. "Und dass eine S-Bahnstation das einzige Ausschlusskriterium für eine Schule sein soll, kann ich mir nicht vorstellen", so der Bürgermeister. Rindsfüßer reagierte wie immer gelassen und blieb im Großen und Ganzen bei seiner Meinung: Unterföhring hat das höhere Potenzial.

Doch nicht nur aus Ismaning trifft den Statistiker derzeit harsche Kritik. Auch Sauerlachs Bürgermeisterin Barbara Bogner (UBV) ließ zuletzt kein gutes Haar an den Untersuchungen des SAGS. Das Institut hatte bei der Suche nach einem Realschulstandort im Süden des Landkreises für Sauerlach im Vergleich zur Nachbarkommune Oberhaching deutlich geringere Schülerzahlen vorhergesagt und Oberhaching damit in die Favoritenrolle gebracht. Rathauschefin Bogner findet das gar nicht lustig: "Die Studie ist nicht umfassend genug. Hier wurde unser Einzugsbereich, der sich über Brunnthal, Otterfing, Baiernrain und Dietramszell bis nach Endlhausen erstreckt, überhaupt nicht berücksichtigt."

Gerade aus Otterfing erwarte Bogner zahlreiche Schüler: "Das ist nämlich nur eine einzige S-Bahnstation entfernt." Aber auch in Oberhaching ist man nicht zufrieden mit den Statistikern. Rathauschef Stefan Schelle (CSU) ist der Ansicht, dass man die Weichen für eine Realschule schon vor zehn Jahren hätte stellen können, hätte man andere Zahlen gehabt.

Rindsfüßer lässt sich durch solche Äußerungen nicht erschüttern. Seine Auftraggeber, etwa der Planungsverband, hätten derartige Kritik nicht geäußert. Den Kommunalpolitikern attestiert er eine sehr lokale Sicht der Dinge, die durch den eigenen Ort geprägt sei - "was ich auch verstehen kann". Das führe aber dazu, dass die übergeordnete Sichtweise der Statistiker eben andere Ergebnisse erziele. "Die Erwartungen sind da hoch." Im Landkreis München aber seien die Prognosen aufgrund des starken Wachstums und der Wanderungsbewegungen besonders schwierig. Daher gebe es auch alle zwei bis drei Jahre eine Fortschreibung. Hinzu kämen äußere Faktoren wie die Wirtschaftskrise 2008 und politische Entscheidungen, "die wir auch nicht vorhersehen können". Die erste Prognose für den Schulbedarf im Landkreis hatte SAGS 2007 gestellt, dann schwächelten auch hier die Unternehmen, sodass man erst mal nicht weiter mit einem solch enormen Zuzug rechnete.

"Wir haben die Geburtenraten unterschätzt", gibt Rindsfüßer heute zu. Hinzu kämen natürlich die Veränderungen in der Schulpolitik. Erst galt es, die Auswirkungen des achtjährigen Gymnasium zu berücksichtigen, jetzt geht es zurück zum G 9. Die zusätzliche Klasse verändert die Schülerzahlen, vielleicht aber auch die Entscheidung der Eltern. Denn damit dauert es auf dem Gymnasium wieder genauso lange bis zum Abitur wie auf der FOS.

Welche Schule die Eltern letztlich für ihre Kinder wählten, hängt zudem vom Ruf der Bildungseinrichtungen ab. "Um da verlässliche Daten zu bekommen, müsste man umfangreiche Meinungsumfragen durchführen", sagt der Statistiker. Unsicher seien zudem die Zahlen von Münchner Kindern, die im Landkreis zur Schule gehen wollen. "Da fehlen oft die Daten aus der Stadt." Insgesamt kalkuliert Rindsfüßer eher vorsichtig, denn: "Ein Anbau ist unterm Strich planbarer als eine halb volle Schule."

© SZ vom 08.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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