Radeberg:Bier, Bitter und Lachsschinken

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Garchings Partnerstadt Radeberg hat mehr zu bieten als das berühmte Pilsner - nicht nur kulinarisch

Von Gudrun Passarge, Radeberg

Was fällt Menschen zur Stadt Radeberg ein? Vermutlich Bier, Bier und dann lange nichts mehr. Manch einer nennt noch "das tolle alte Gebäude", in dem die Brauerei vermutet wird. Die Beschreibung passt aber eher auf die aus der Werbung bekannte Semperoper im nahen Dresden, denn das Radeberger Pilsner gärt in einem hochmodernen Biertempel. Ja, und dann ist es natürlich seit 1995 die Partnerstadt von Garching. Aber die Liste ist längst nicht vollständig. Einen darf man auf keinen Fall vergessen: Michael Gregor, der als "Bierkutscher Ernst" der Stadt in Sachsen ein Gesicht gegeben hat. Gregor steht in seiner rot-braunen Lederschürze, dem Leinenhemd und der Kutschermütze auf dem Marktplatz und stellt sein Alter Ego vor: "Ich habe 1871 in Radeberg das Licht der Welt erblickt." Schon ist der Besucher mittendrin in der Geschichte der Bierstadt, in der seit 1872 Pilsner gebraut wird.

Michael Gregor ist 2003 in die Rolle des Bierkutschers geschlüpft, wobei für manchen kaum zu unterscheiden ist, wer gerade vor ihm steht. "Ich höre inzwischen auch auf den Vornamen Ernst", erzählt er und lächelt verschmitzt. Der Maschinenbauingenieur aus Pirna, der sich inzwischen Tourismusmanager nennt, hat seine Rolle ganz verinnerlicht (www.bierkutscher-ernst.de). Nicht nur Besucher von außerhalb führt er - oder besser fährt er mit dem Kremser - durch Radeberg, es kommen auch viele Einheimische, die mehr über den Ort wissen und ihren Spaß haben wollen: Die alte Bierkutsche ist im Fahrgastraum mit einer Zapfanlage ausgestattet, damit die Ausführungen nicht so trocken sind.

Trotz vieler Sehenswürdigkeiten ist und bleibt Radeberg die Bierstadt. (Foto: privat)

Der Bierkutscher kennt viele Menschen in der Stadt, er winkt mal kurz dem Oberbürgermeister Gerhard Lemm, der gerade im Auto vorbeifährt, den Geschäftsleuten sowieso. Während er den Bierpfad mit seinen Sehenswürdigkeiten abschreitet, erzählt er vom wuchtigen Schloss Klippenstein, dessen Geschichte bis mindestens 1289 zurückreicht. Dann steht er stolz vor der Postmeilensäule auf dem Marktplatz, es handelt sich um eine Nachbildung der Originalsäule von 1728. Sie gibt genaue Entfernungen an. "Sachsen war das erste Land weltweit, das geografisch vermessen wurde." Nach Pirna etwa sind es viereinhalb Stunden weit. Des Rätsels Lösung: Bis 1840 war die Stunde ein Längenmaß, sie entsprach 4,531 Kilometern.

Doch des Bierkutschers wichtigste Themen sind Essen und Trinken: "Radeberg ist eine Stadt der Gaumenfreuden." Da ist das überaus erfolgreiche Exportbier, da war Agathe Zeis, die 1884 die Erlaubnis bekam, in der Meierei Heinrichsthaler den ersten Camembert außerhalb Frankreichs herzustellen. Für Liebhaber in Übersee wurde er in "tropensicheren Blechdosen verschickt". Da gibt es den Radeberger Lachsschinken, der über Buchenholz geräuchert wird. Und da war Wilhelm Richter, der 1877 den Radeberger Bitter erfand, nach dessen Rezept noch heute der Kräuterlikör angesetzt wird, was in der alten Fabrik nach wie vor zu sehen ist. Und doch landet der Bierkutscher immer wieder beim Bier, das übrigens Hausbesitzer lange Zeit privat brauen durften. 1868 war Schluss damit, in diese Lücke sprang die Radeberger Brauerei. Mit 250 Mitarbeitern ist sie allerdings nicht der größte Arbeitgeber der Stadt. Das sind vielmehr ein Betrieb, der Dialysatoren herstellt, und ein Autozulieferer, die an jahrhundertealter Industrietradition in Radeberg anknüpfen.

Kein Wunder, dass in der Bierstadt ausgerechnet der Bierkutscher Ernst der bekannteste Stadtführer ist. (Foto: PR Radeberger Pilsner)

Aber zurück zum Bier, schließlich ist die Brauerei ein Touristenmagnet der Stadt. Welchen Stellenwert das Pilsner hat, das bereits Bismarck zu schätzen wusste, zeigt sich beim jährlichen Bierstadtfest. "Das ist wie unser Straßenfest, da ist der ganze Ort auf den Beinen", erzählt der Garchinger Werner Landmann. Der inzwischen parteilose Stadtrat erinnert sich gut an den August 2009, als er zusammen mit seinen damaligen SPD-Parteifreunden Götz Braun, dem jetzigen Bürgermeister Dietmar Gruchmann und Heribert Gruber von Garching aus nach Radeberg geradelt ist. Das waren anstrengende vier Tage, 640 Kilometer, die Strecke führte über das Naabtal, Waldsassen und durch die tschechischen Mittelgebirge ins Erzgebirge. Dann ging es über die Dresdner Heide nach Radeberg, wo die Vier gerade noch rechtzeitig ankamen, um zusammen mit dem nachgereisten Joachim Krause als Garchinger Mannschaft antraten. Sie versuchten sich in solchen Disziplinen wie Fassrollen und Dosenwerfen. Wenn auch der ganz große Erfolg ausblieb, und es nicht für den Sieg reichte, Spaß habe es allemal gemacht. So ähnlich klingen auch die Garchinger Feuerwehrmänner, die einen lockeren Austausch mit der Radeberger Wehr pflegen. Sie nahmen an einem "Sautrogrennen" der Feuerwehr in Radeberg teil und setzten sich in eine aufgerüstete Badewanne. "Doch das Boot kenterte und schickte zum Gaudium des Radeberger Publikums die Besatzung in die Tiefen des Sees", berichtet Sepp Kink. "Aber lustig war es allemal." Die Besuche gingen hin und her, "die Partnerschaft mit der FF Radeberg stellt sich als ein lockeres, unkompliziertes Mit- und Füreinander dar".

Auch Landmann hat Radeberg mehrmals besucht, zuerst 2002 mit der Arbeiterwohlfahrt im Jahr 2002. "Da hat sich in der Zwischenzeit nicht so wahnsinnig viel getan", erzählt er. Gut, es werde hier und da neu gebaut oder restauriert, "aber es gab keine massive Umwälzung." Gleich geblieben sei auf jeden Fall die Herzlichkeit der Leute, "das ist schon beachtlich und auch nicht selbstverständlich". Landmann findet, die Partnerschaft zwischen Garching und Radeberg sei gut gewählt und sehr passend. Beide hätten etwa gleich viele Einwohner und verstreute Ortsteile, Dresden liege 16 Kilometer entfernt, der Münchner Marienplatz sei von Garching aus ebenfalls 16 Kilometer weit weg. "Wir haben keine so berühmte Brauerei, aber die Gemeinsamkeiten überwiegen." Vor allen Dingen gefällt ihm, dass die Partnerschaft auch gelebt wird.

Bierkisterltragen ist ein gängiger Sport - hier die Garchinger Stadträte 2009. (Foto: privat)

Eine Meinung, die er mit Bürgermeister Dietmar Gruchmann teilt: "Es ist macht richtig Spaß, wie die Städte-Partnerschaft mit Radeberg mit Leben gefüllt wird. Vor allem besteht eine wahre Freundschaft zwischen dem Oberbürgermeister Gerhard Lemm und mir, das macht's wohl aus, dass da so viel ehrliches Engagement von allen Beteiligten vorhanden ist." Gruchmann erinnert an die beiden Besuche, die Lemm der Universitätsstadt abgestattet hat. Einmal zum Gründungsfest, da hatte er Magnolienbaum Betty im Gepäck, der jetzt den Rathauseingang ziert, und dann beim Festumzug, wo Lemm mit Cut und Zylinder in der Festkutsche saß. Doch das ist noch nicht alles, der Radeberger OB, der eigentlich aus Düsseldorf stammt, wird auch zum 25-Jahre-Stadterhebungsfestakt am kommenden Montag erwartet. "So muss Städtepartnerschaft gelebt werden, dann entstehen tiefe Freundschaften, von denen beide Kommunen auch im Erfahrungsaustausch profitieren können", sagt Gruchmann.

Lemm, der wie Gruchmann der SPD angehört, sieht ebenfalls viele Gemeinsamkeiten, erkennt aber durchaus die Unterschiede zur Universitätsstadt Garching, etwa bei den Mietpreisen. In Radeberg gebe es im Bestand noch Wohnungen für 4,50 Euro pro Quadratmeter, sagt der Oberbürgermeister. Er finde die Frage interessant, wie die Partnerstadt an gewisse Dinge herangehe. "Jeder hat eine andere Philosophie. Man lernt Dinge voneinander." Als Beispiel nennt er den Neubürgerempfang, von dem er "völlig begeistert war", und den es in Radeberg jetzt auch gibt.

Und es gibt noch einen Unterschied, einen zwischen Sachsen und Bayern, von dem Bierkutscher Ernst berichtet. Es liegt Malzgeruch in der Luft, was ihn dazu veranlasst über den Bierkonsum zu plaudern. Die Sachsen sind mit 135 Litern pro Kopf die Bierkönige Deutschlands, der Durchschnittswert liegt bei 107 Litern. Bemerkenswert: Sie liegen drei Liter vor den Bayern. "Wir tun unser Bestes, damit der Bierkonsum in Deutschland nicht weiter zurückgeht", sagt der Bierkutscher. Für die Bierstadt Radeberg sind das gute Nachrichten.

© SZ vom 11.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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