Pullacher Initiative:Afrika - Pullach - Afrika

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Der senegalesische Flüchtling Babacar G. hat mit finanzieller Unterstützung von Spendern nach der Rückkehr in seine Heimat eine Hühnerzucht gegründet - und sich kürzlich auch noch verliebt. Fans und Freunde im Landkreis drücken ihm die Daumen

Von Michael Morosow

In Afrika kennt man keinen Hühnergrill und schon gar keinen Wienerwald. Im Senegal etwa zerkleinert die Hausfrau das Huhn, legt es über Nacht in eine Marinade aus acht gewürfelten Zwiebeln, Peperoni, Lorbeerblatt, zehn Zitronen, zwei Zweigen Thymian sowie Pfeffer und brät es auf einem Holzkohlegrill. Gereicht wird es mit einer aus der Marinade zubereiteten Soße und weißem Reis.

Wenn es nach Babacar G. geht, legen täglich Hunderte senegalesische Hausfrauen Hühner in eine Marinade - welche aus seiner Zucht sollten es freilich sein. Wenn sie schon keine goldenen Eier legen, dann sollten sie ihm wenigstens den Lebensunterhalt sichern hier in Westafrika, einem Land ohne Hoffnung, das er 2009, mit 26 Jahren, verlassen hatte, um in Europa sein Glück zu finden.

Warum auch hätte er bleiben sollen?

Warum auch hätte er bleiben sollen in seinem Heimatort, wo aus staubiger Erde nur wenige Beton- und Ziegelbauten wachsen und es somit nicht viel zu tun gibt für einen gelernten Maurer wie ihn.

Die abenteuerliche Geschichte des Flüchtlings Babacar G. beginnt also in einem Dorf ohne Hoffnung im Senegal, führt ihn über karstige Felder in Süditalien, wo er als Schwarzarbeiter für einen Hungerlohn schuften muss und dafür keine Anerkennung sondern, so berichtet er heute, rassistische Anfeindungen erntet. Sie lässt ihn in Pullach Zwischenstation machen, wo er dank glücklicher Fügung seinem Schutzengel begegnet.

Und die Geschichte, wenn es nicht gar ein Märchen ist, lässt ihn im März 2017 in seiner Heimat aus dem Flugzeug steigen - voller Ehrgeiz und Plänen, mit vielen Wünschen und Ratschlägen im Gepäck, aber auch mit einem Bündel Geldscheinen, genug für die ersten Schritte auf dem Weg zu einer Existenzgründung. Wollte er nicht immer schon eine Hühnerzucht aufbauen?

Am Anfang sind einige Hürden zu überwinden

Es ist zweifellos spannend mit anzusehen, ob und wie es vorangeht mit Babacars Hühnerzucht, und immer mehr Menschen verfolgen mit großem Interesse den Werdegang des jungen Westafrikaners. Dessen Schutzengel, die Schauspielerin Hedwig Rost, berichtete im Bürgerhaus Pullach einem größeren Publikum von dem Abenteuer ihres einstigen Zöglings, dessen sie sich während seines Flüchtlingsdaseins in Pullach in besonderem Maße angenommen hatte.

Wenn alles weiterhin so gut läuft, das konnten die Zuhörer mit nach Hause nehmen, dann wird die Existenzgründung trotz aller Rückschläge nachhaltigen Erfolg haben. Dann werden neben Babacar G. mindestens weitere zwei Menschen auf Dauer in Brot und Arbeit stehen, keinen Anlass mehr für eine Flucht nach Europa haben, und es würde sich die Mühe der vielen hilfsbereiten und großzügigen Helfer gelohnt haben.

Babacar (Mitte) umringt von seiner Familie. Sie sind stolz auf ihn. Er hat aus Europa Gutes mit nach Hause gebracht. (Foto: N/A)

Als Babacar G. vor neun Jahren dem Haus seiner Eltern und Geschwister den Rücken kehrte, wusste er: Seine Familie, die die letzten CFA-Francs zusammenkratzte für Visum und Flug nach Italien, würde ihn mit Verachtung strafen, wenn er als Gescheiterter mit leeren Händen zurückkehren sollte. Und lange Zeit hat es genau danach ausgesehen.

Im Frühjahr 2015 war der Senegalese in Deutschland angekommen, beantragte Asyl und traf im Mai in Pullach ein, wo er wie weitere 100 Flüchtlinge in der Sporthalle unterkam. Das Märchenmotiv vom verzauberten Baum, an dessen Früchte niemand herankommt, gibt es in vielen afrikanischen Kulturen.

Die Pullacherin Hedwig Rost zu Besuch in Afrika. (Foto: privat)

Flelißig und ehrgeizig

Auch der Maurer aus dem Senegal konnte sich strecken und recken, das Glück, nach dem er sich sehnte, ließ sich für ihn nicht greifen - im November 2016 wurde die Klage gegen seine Abschiebung zurückgewiesen. Hier hätte unter gewöhnlichen Umständen der Traum von Babacar B. auf ein ersprießliches Leben in der Fremde geendet. Wenn ihm zuvor nicht Hedwig Rost begegnet wäre.

Die Französisch sprechende Schauspielerin erteilte den Westafrikanern Deutschunterricht und fand bald Gefallen an dem ebenso sympathischen wie fleißigen und ehrgeizigen Senegalesen, nahm ihn unter ihre Fittiche, führte ihn in die neue Welt ein. Auch sie konnte am Ende nicht verhindern, dass ihrem Zögling die Ablehnung seines Asylantrages ins Haus flatterte, aber sie hatte ihn darauf vorbereitet.

"Madame Rost", wie er sie nennt, überredete ihn, nicht als Schwarzarbeiter in Spanien oder Frankreich unterzutauchen. Stattdessen machte sie ihm eine Rückkehr in sein Heimatland schmackhaft, eine Rückkehr, die er erhobenen Hauptes würde antreten können, als Hühnerzüchter. Die Starthilfe beschaffte "Madame Rost" durch Spendenaufrufe an ihre "Freunde mit sozialem Gewissen."

Der gute Rat: nicht mehr als drei Kinder

Als Babacar G. im März in den Flieger stieg, hatte er noch die Bedingung im Ohr, unter der ihm Hedwig Rost Geld und Flugticket in die Hand drückte: Sie wolle über alle kaufmännischen Schritte unterrichtet werden, die ihr Zögling in seiner Heimat unternimmt. Das Leben, allzumal eine Existenzgründung im Senegal ist teuer. Allein das 900 Quadratmeter große Grundstück außerhalb von Dakar für die Hühnerzucht kostete 4700 Euro, die Hälfte seines Startkapitals. Ach ja, einen wohlwollenden Rat hat sie ihm auch noch mit auf die Heimreise gegeben: Nur eine Frau, nicht mehr als drei Kinder.

Babacar G. hält seine Förderin und Mentorin brav auf dem Laufenden, so wie ihm aufgetragen wurde. Er sendet ihr regelmäßig Fotos und sogar Filmaufnahmen von seiner allmählich wachsenden Hühnerfarm, und Hedwig Rost schickt alles per Rundmails weiter an die Spender. Immer mehr Menschen in Pullach stehen so am Fenster zu Afrika und nehmen Anteil am Wohl und Wehe des Senegalesen. Zuerst musste er seine Fähigkeiten seiner Familie zeigen, jetzt also seinen Gönnern, was er aber offenbar gerne macht. Die ersten Fotos zeigen ihn in einem 600 Hühner fassenden Gehege auf dem Dach des elterlichen Hauses, zusammen mit seinem Bruder Mbacke und seinem Freund Mamadou, die beide mit ihm die Hühnerproduktion zur Blüte bringen wollen. Es war nur eine Übergangslösung, das Grundstück musste erst erworben werden, und dabei stellte sich Babacar G. "saublöd" an, wie Rost schimpfte. Er hatte sich nichts Schriftliches geben lassen mit der Folge, dass er "von einem Schlawiner" über den Tisch gezogen wurde. Statt Besitzer eines Grundstücks zu werden, stand er plötzlich mit zweien, nicht zusammen liegenden Flächen da. Aber das Problem konnte schließlich doch gelöst werden. "Gestern hat er mir ein Foto von einem Vertrag geschickt, unterschrieben vom Bürgermeister", berichtete Rost. "Afrika ist anders, das habe ich gemerkt. Hier denkt man nicht in Schriftstücken und Verträgen, hier ist die Palaverkultur zuhause, hier trifft sich die Dorfgemeinschaft unterm Palaverbaum", weiß die Helferin inzwischen.

Auf 2500 bis 3000 Hühner, so die Rechnung ihres Zöglings, müsste er kommen, um rentabel wirtschaften zu können. Circa 20 000 Euro, so die Schätzung von Hedwig Rost, müssten insgesamt investiert werden, damit er so weit kommt. Drei Leute könnten dann davon leben, das sei eine sinnvolle Investition, "und das kann was Ansteckendes werden", sagt sie.

In ihrem Vortrag im Pullacher Bürgerhaus berichtete Rost auch von ihrer Reise im Juli nach Senegal, von der Herzlichkeit, die ihr Babacars Familie zuteil werden ließ, von seiner Schwester Ndeye, 23, die internationales Recht studiert - mit finanzieller Unterstützung ihrer Brüder, von seiner kleinen Nichte, 13, die Gynäkologin werden will, von ihren Gesprächen mit Frauen über Polygamie, von seinem Vater, der zwölf Kinder mit seinen beiden Frauen hat, und schließlich auch von der nicht vorhandenen Infrastruktur in Babacars Heimatort, die den Aufbau einer Hühnerzucht erschwert. Wasser aus dem Hahn gibt es nicht, er bezieht es aus einem Schlauch, musste dazu eine Pumpe kaufen. Aber kürzlich ist ganz in der Nähe der neue Flughafen von Dakar eröffnet worden und zudem soll hier eine neue Siedlung entstehen und eine Schule gebaut werden. "Der Strom kommt näher", sagt Hedwig Rost. Den kleinen Laden in der Geschäftsstraße des Ortes, den der Existenzgründer angemietet hat, hat er zum Glück bereits erreicht, wenn er auch kürzlich doch wieder im Dunkeln stand. Die Vermieterin hatte den Strom abgestellt und ihn dadurch gezwungen, die alte Rechnung des Vormieters zu bezahlen. Jetzt fließt wieder Strom, was eminent wichtig ist für ihn, kann er doch jetzt endlich seine Gefriertruhe zum Einsatz bringen, die Spende einer Frau aus dem südöstlichen Landkreis, die Gefallen gefunden hat an dem afrikanischen Start-up-Unternehmer, das Projekt von Hedwig Rost von Anfang an unterstützt hat und schon lange einen Stammplatz am Fenster zu Afrika hat.

Die Frauen wollen eine Wäscherei eröffnen

Zwei Schritte vor, einen zurück - nur im Pilgerschritt kommt Babacar G. voran. Und das ein oder andere Mal wird sich der 35-Jährige unter einem verzauberten Baum gewähnt haben, den er unermüdlich gießt, dessen Früchte er aber nicht ernten kann, noch nicht. Mitten in Afrika eine Hühnerzucht aufzubauen, ist freilich auch ein gewagtes Vorhaben. Der Kontinent wird seit langem schon überschwemmt mit gefrorenen Hühnerteilen aus EU-Ländern, so auch aus Deutschland. Tausende Kleinbauern sind schon pleite gegangen, weil sie mit den Billigangeboten aus Europa nicht mithalten können; wie auch, wenn sie für ein einziges Küken drei bis vier Euro bezahlen müssen und das Futter "umwerfend teuer" ist, wie Rost berichtet. Das Absurde an dieser Situation: Doch Babacar G. will nun die Not zur Tugend machen und selbst in den Futterhandel einsteigen. Und nicht nur das: Zusammen mit seinem Bruder Mbacke will er einen zweiten Laden mieten. Dort wollen die Frauen eine "Blanchisserie", eine Wäscherei, eröffnen. Die Waschmaschine, ebenfalls eine Spende, war bereits mit der Tiefkühltruhe zusammen geliefert worden. Außerdem soll es dort eine kleine Bank geben mit Wechselstube und Geldtransfers. "Ich habe selber in Dakar meine Euros in so einem Laden zwischen Waschpulver und Bananen umgetauscht", erinnert sich Hedwig Rost. Von Babacars Dorf bis zur senegalesischen Hauptstadt sind es aber 50 Kilometer, viel zu weit für einen Geschäftsmann ohne eigenem Fahrzeug. Circa 10 000 Euro sind bereits aus Pullach in die Hühnerzucht geflossen, für die Anschaffung eines Wagens ist nun mit mindestens weiteren 8000 Euro zu rechnen. Ohne Fahrzeug, so befürchtet sie, wird die Existenzgründer auf halbem Weg stehen bleiben. "Da kommt noch ein großer Hilferuf", kündigt Hedwig Rost an.

Die abenteuerliche Geschichte des Flüchtlings Babacar G. hält also weiterhin die Pullacher Helfer in Atem. Neuerdings verfolgen sie mit gedrückten Daumen die Entwicklungen: Babacar G. hat sich verliebt, eine Braut gefunden, die er heiraten möchte. Wird er den Rat von "Madame Rost" (Nur eine Frau, nicht mehr als drei Kinder) beherzigen? Es bleibt spannend am Fenster zu Afrika.

© SZ vom 31.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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