Psychiatrische Klinik in Haar:Besucherin brutal attackiert

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Ein Gewalttäter hat auf dem Gelände der psychiatrischen Klinik Haar eine Besucherin schwer verletzt. Nun fordert das Opfer Schadensersatz - bislang ohne Erfolg.

Ekkehard Müller-Jentsch

Wie viel Freiheit darf ein psychisch kranker Gewalttäter haben? Unausgesprochen steht diese Frage im Mittelpunkt eines Prozesses am Oberlandesgericht München. Eine Frau war auf dem Gelände der psychiatrischen Klinik Haar von einem Mann schwer verletzt worden, der nach einer Bluttat dort auf gerichtliche Anordnung untergebracht worden war. Das Opfer meint, dass die staatliche Einrichtung ihre Amtspflicht verletzt habe, einen so gefährlichen Patienten unbeaufsichtigt zu lassen.

Wegen seines rüden Verhaltens war 2001 der damals 33-Jährige von einem Gärtnerkursus einer Sozialeinrichtung ausgeschlossen worden. Daraufhin hatte er den 52-jährigen Leiter mit einem 15 Zentimeter langen Messer niedergestochen und dann einen Selbstmordversuch unternommen. Wegen versuchten Mordes war er angeklagt, aber wegen Schuldunfähigkeit in Haar untergebracht worden. Dort behandelte man ihn wegen einer schweren Persönlichkeitsstörung mit paranoiden und narzisstischen Zügen.

Da der Mann offenbar gut auf die Behandlungen ansprach, wurden ihm nach und nach mehr Freiheiten eingeräumt. Zuletzt durfte er sich frei auf dem Klinikgelände bewegen, hätte sogar unbegleitet in den Ort gehen dürfen.

Fast genau vier Jahre nach der Messerattacke sollte der Patient in der Nähe des Cafés Regenbogen auf dem Klinikgelände Rasen mähen. Dabei vermisste er plötzlich seine Baseballkappe. Als seine Nachfrage in dem Lokal angeblich brüsk zurückgewiesen wurde, hatte er draußen plötzlich eine Frau mit Zeitung in der Hand gesehen. Der Kranke war anscheinend fest davon überzeugt, dass sie eine darin versteckte Pistole auf ihn richte und er um sein Leben kämpfen müsse.

Die völlig ahnungslose Frau, eine Gerichtsbedienstete auf Dienstgang, wurde äußerst brutal niedergeschlagen. Der Täter versuchte sogar, ihr die Augen auszudrücken und knallte ihren Kopf immer wieder auf eine Bordsteinkante. Erst Passanten konnten den Täter wegziehen und festhalten. Die Frau leidet bis heute unter den Verletzungen, ist schwer traumatisiert und seit Jahresbeginn unbegrenzt dienstunfähig geschrieben. 120.000 Euro Schmerzensgeld verlangt sie nun vom Bezirk Oberbayern. Ihrer Meinung nach ist bei dem Patienten die Beaufsichtigung zu früh gelockert worden, und man habe nicht ausreichend überwacht, dass er seine Medikamente einnimmt.

Ein Gerichtsgutachter erklärt nun aber, dass er in 20 Jahren psychiatrischer Erfahrung eine solch fulminante psychotische Störung ohne vorhergehende Warnsignale noch nicht erlebt habe. Und zuvor habe sich der Patient über lange Zeit kooperativ und durchaus friedlich gezeigt. Auch wenn er aus heutiger Sicht eher von einer Schizophrenie als von einer Persönlichkeitsstörung ausgehen würde, so sei die Diagnose und Therapie in der Klinik medizinisch vertretbar gewesen, meinte der Professor.

Der 1. Zivilsenat erklärte daraufhin, dass eine Amtspflichtverletzung unter diesen Umständen eher nicht zu sehen sei. Angesichts der tragischen Umstände fragte das Gericht den Anwalt des Bezirks aber, ob eine Kulanzzahlung von 10.000 Euro denkbar sei. Dies lehnte aber sofort die Klägerin ab. Ihr Anwalt will nun schriftlich das Sachverständigengutachten widerlegen - denn der Professor habe sich nicht an die Wahrheit gehalten. Im Februar will das Gericht eine Entscheidung verkünden.

© SZ vom 04.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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