Es ist heiß im Gerichtssaal A101 des Landgerichts München I. Die Luft steht und ein paar Ventilatoren sollen wenigstens einen Hauch von Kühle in den Raum blasen. Sebastian L. und Markus Sch. sitzen auf ihren Plätzen. Sie schauen ausdruckslos nach vorne. Markus Sch. öffnet einen weiteren Knopf seines dunklen Hemdes, er fächelt sich Luft zu.
Beide hören den Worten von Maximilian Pauls und Hermann Sättler zu, den Anwälten von Markus Sch. Sie halten nach elf Verhandlungstagen und der Befragung von etwa 50 Zeugen ihr Plädoyer - in einem Fall, der ganz Deutschland bewegt. Markus Sch. und Sebastian L. sind angeklagt, am 12. September 2009 am S-Bahnhof in München-Solln den Geschäftsmann Dominik Brunner so brutal zusammengeschlagen zu haben, dass er wenig später an den Folgen starb.
"Ich weiß, dass es mein größter Fehler war", sagt Markus Sch. ganz am Ende des Tages. "Es tut mir unendlich leid." Auch Sebastian L. beteuert noch einmal, wie sehr er seine Tat bedauere. "Ich wollte nie, dass so etwas passiert."
Zuvor kontern ihre Verteidiger die Worte von Staatsanwältin Verena Käbisch, die am Vormittag hohe Jugendstrafen gefordert hatte: zehn Jahre für den Haupttäter Markus Sch. wegen Mordes und versuchter räuberischer Erpressung, acht Jahre für seinen Kumpel Sebastian L. wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge.
Von Mord wollen die Verteidiger von Markus Sch. jedoch nichts wissen. Pauls und Sättler bewerten die Taten ihres Mandanten als gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge - und fordern eine Jugendstrafe von unter sieben Jahren. Niedrige Beweggründe, die für eine Verurteilung wegen Mordes notwendig sind, seien nicht gegeben. Roland Autenrieth und Jochen Ringler, die Sebastian L. vertreten, drängen für ihren Mandanten auf eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten.
Die Verteidigung bewertet die Tat in zwei Phasen, zunächst als Körperverletzung mit Todesfolge und in der zweiten Phase als versuchten Totschlag. Erst als Brunner am Boden lag, sei eine bedingte Tötungsabsicht bei Markus Sch. anzunehmen gewesen.
Die massiven Hiebe seien aber provoziert worden, weil Brunner auf dem Bahnsteig der S-Bahn-Haltestelle zuerst zuschlug. Erst danach sei der alkoholisierte Sch. ausgerastet, habe "dichtgemacht" und auf den 50-Jährigen eingeprügelt. Sch. habe mindestens zehn Gegentreffer einstecken müssen, was für einen heftigen Kampf von beiden Seiten spreche.
Und Sebastian L.? Ihm konnten Schläge nachgewiesen werden, nicht jedoch Tritte gegen Kopf oder Bauch des Opfers. Sein Mandant habe die Tritte, die Markus Sch. Brunner verpasst habe, auch nicht gebilligt, sagte Ringler. Er habe sogar versucht, seinen Freund von Brunner wegzuziehen.
Die beiden Angeklagten hätten - anders als von der Anklage beschrieben - auch nicht geplant, Brunner für sein Eingreifen in der S-Bahn, bei dem er sich schützend vor ein paar Kinder gestellt hatte, eine Lektion zu verpassen, sagen die Anwälte von Markus Sch. Im Gegenteil: Brunner selbst habe die Pöbeleien im Zug falsch interpretiert, da er selbst ein völlig anderes Wertesystem gehabt habe, als die Jugendlichen.
Die Anwälte betonten, dass die "unmittelbare Todesursache ein kardial bedingter Herzstillstand" war. Brunner litt einem medizinischen Gutachten zufolge an einem krankhaft vergrößerten Herzen. "Hätte er diese Herzkrankheit nicht gehabt, würde er heute noch leben", sagte Sättler.
Ebenso wie der Verteidiger von Sebastian L. sieht auch Pauls, Anwalt von Markus Sch. ein Bemühen seines Mandanten, sein Leben wieder in den Griff bekommen zu wollen und seinen Hauptschulabschluss nachmachen zu wollen. Als zwingend strafmildernd sehen sie außerdem die hohe Alkoholisierung des 19-Jährigen an, der zur Tatzeit über zwei Promille Alkohol im Blut hatte. Auch habe Sch. Reue gezeigt und sich in dem Maße entschuldigt, wie es "seinen Fähigkeiten" entspricht.
Staatsanwältin Verena Käbisch sieht das anders. Sie habe "kein Wort des Bedauerns" von dem zur Tatzeit 18-jährigen Sch. gehört. Im Gegenteil. Er habe sogar gelacht, als die Prozessteilnehmer am Richtertisch Bilder des Opfers angeschaut haben. "Dies ist völlig deplatziert, geschmacklos und eine Verhöhnung des Opfers", sagte Käbisch.
Bild einer organisierten Gewaltorgie
In beißendem Ton hatte sie am Vormittag ihr Schlussplädoyer formuliert. Dabei zeichnete sie das Bild einer organisierten Gewaltorgie. Markus Sch. und Sebastian L. seien wütend gewesen, weil Dominik Brunner ihren Plan, von einer Gruppe Jugendlichen Geld für Alkohol "abzuziehen", zunichte gemacht hatte.
Vor allem Markus Sch. sei in seiner Ehre gekränkt gewesen. Er handelte mit Tötungsvorsatz, sagte Käbisch. Er habe Brunner bewusst gegen den Kopf getreten. Er habe den Schlüssel, den er sich vor der Tat zwischen die Hand klemmte, "bewusst eingesetzt" und den Plan verfolgt, Brunner "schwerstmöglich zu verletzen". Einen "Kampf ohne Grenzen" nannte die Staatsanwältin dies. Einen Kampf von "möchtegern-coolen Jungs", die dachten, "ihnen gehöre die Welt". Das rechtfertige eine Verurteilung wegen Mordes.
Auch mit Sebastian L. ging die Staatsanwältin nicht zimperlich um. Er habe ebenfalls auf das Opfer eingetreten und geschlagen. Auch er habe aus niederen Beweggründen gehandelt, sagte Käbisch. Und doch sei er weniger aggressiv gewesen. Am Ende habe er versucht, seinen Kumpel von dem am Boden liegenden Brunner wegzuziehen. Für den Mitangeklagten Sebastian L. spräche zudem seine schwierigen persönlichen Umstände. Im Gegensatz zu Markus Sch. lasse sein Verhalten darauf schließen, dass er seine Tat ehrlich bereue. Dennoch sei er mitverantwortlich für den Tod des Managers und nur "einen Zentimeter vom Tötungsansatz entfernt".
Deshalb forderte Käbisch auch bei dem zur Tatzeit 17-jährigen Sebastian L. eine überraschend hohe Strafe: eine Jugendstrafe von acht Jahren. Der Grund: Er gilt als Mittäter und die Tat seines Freundes sei demnach wie seine eigene zu werten. Auch die Anwältin der Nebenklage, Annette von Stetten, forderte hohe Haftstrafen für die Angeklagten. Sie erzählt von den Eltern von Dominik Brunner, denen es beiden körperlich und psychisch sehr schlecht gehe. "Sie haben neben Dominik Brunner auch seine Eltern auf dem Gewissen", sagte sie.
Wie die Strafe ausfallen wird, zeigt sich am 6. September - dann wird das Urteil gesprochen.