Dicht an dicht reiht sich ein Schlafsack an den anderen. Kleidungsstücke, Schuhe, Lebensmittel und Bücher liegen im engen Radius um die Schlafstätte. Sprossenwände werden zum Trocknen der Handtücher benutzt, die Heizkörper kann man unter hohen Wäschebergen nur noch erahnen.
Menschen aller Altersklassen schreien und wuseln durcheinander. Man könnte denken, auf einem indischen Basar zu sein. Tatsächlich spielt sich das Szenario im Anton-Fingerle-Bildungszentrum in München-Giesing ab - einer Unterkunft beim 2. Ökumenischen Kirchentag.
In 49 Klassenzimmern und drei Sporthallen sind knapp 800 Gläubige aus dem Ruhrgebiet untergebracht: Jugendliche, Erwachsene, Menschen mit Behinderung und Familien. Überblick über das organisierte Chaos hat Quartiermeister Jürgen Hellrung.
"Für mich ist jeder Kirchentag ein einzigartiges Erlebnis", sagt Hellrung, der in München seinen zwölften Kirchentag durchlebt. Als Quartiermeister ist er 24 Stunden erreichbar und gefühlte 25 Stunden im Einsatz. "Ich mache das gerne. Es ist schön zu sehen, wie die Jugendlichen den Kirchentag erleben und auch Zuhause noch davon zehren." Vor allem der Zusammenhalt und der Austausch werde in einer derart großen Unterkunft gestärkt.
"Gestern sind zum Beispiel einige mit Schaum in den Haaren aus den Duschen, weil Menschen mit Behinderung duschen wollten", sagt der Quartiermeister. Es stehen zwar je zwei Duschräume für Männer und Frauen zur Verfügung, doch bei 800 potentiellen Duschern kann es morgens durchaus zu Engpässen kommen.
Eine Mädchen-Clique aus Schwalmtal am Niederrhein hat eine Lösung für das Duschproblem gefunden: "Wir kommen schon um 18 Uhr ins Quartier zurück, um dann gleich duschen zu können." Die acht Mädchen sind zwischen zwölf und 15 Jahre alt und können mit dem Münchner Nachtleben noch nicht so viel anfangen.
Dafür wissen sie bestens über die Schlafgewohnheiten in den Turnhallen Bescheid. "Viele schnarchen und pupsen nachts", sagt ein Mädchen, während die anderen zu kichern anfangen.
In der Turnhalle nebenan haben Katja, Isabel, Anika, Michael und Melanie aus Köln ihr Nachtlager aufgebaut. Die 16-Jährigen sind vom Kampieren wenig angetan: "Wir haben morgens immer Rückenschmerzen." Dafür gefällt ihnen die Stadt umso besser.
"München ist viel sauberer als Köln und es ist hier gar nicht so kitschig, wie wir dachten." Unter Kitsch verstehen die Kölner Einfamilienhäuser mit großen Holzbalkonen und Geranien.
Auf Feldbetten in einem Klassenzimmer nächtigt eine Gruppe behinderter Menschen aus Münster. "Wir sind abends immer so müde, wir würden überall schlafen", sagt Betreuerin Martina. Die 20-köpfige Gruppe aus dem Stift Tilbeck war bei ihrer Ankunft von der Unterkunft enttäuscht. "Wir hatten für unsere Behinderten Feldbetten bestellt. Davon wussten die hier nichts. Aber inzwischen hat sich alles geregelt", sagt die Betreuerin.
Bislang hat sich im Quartier von Jürgen Hellrung immer alles geregelt. Dafür sorgt der Chef persönlich. "Alle, die hier wohnen, haben meine Handynummer auf ihrem Quartierausweis stehen und können mich immer anrufen", sagt Hellrung. Und so einen Anruf gibt es nicht zu selten. "Am Donnerstag hatte eine Gruppe ein Mitglied verloren." Auch dann wird Hellrung kontaktiert. Wer vor verschlossener Quartiertüre steht, ruft ebenfalls Hellrung an.
"Um 1 Uhr ist Zapfenstreich. Dann wird die Eingangstüre verschlossen." Draußen bleiben muss aber niemand. Der Quartiermeister ist kulant. Vom Kirchentag selber bekommt Hellrung so gut wie nichts mit. "Aber das macht nichts. Ich erlebe in meinem Quartier genug."
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Die weißen Wohnwagen sind schon von weitem zu sehen. Vor den nördlichen Toren des Messegeländes haben sich nämlich die Camper niedergelassen. Drei Mädchen bewachen an diesem Freitagabend den Eingang des Campingplatzes, ihre gelben Sicherheitswesten leuchten in der Nacht. "Wir müssen jeden nach seinem Ausweis fragen, damit keine Unbefugten auf den Platz kommen", sagt eines der Mädchen. Die Wächterinnen des Campingplatzes sind zwischen 13 und 14 Jahren alt und nehmen ihre Aufgabe ernst. Um Mitternacht werden sie abgelöst.
Auch die Einfahrt für die Wohnwagen und Autos wird von zwei Mitarbeitern von Kirche unterwegs kontrolliert. Sie sorgen dafür, dass die Kirchentagsbesucher hier sicher schlafen können. Der Wächter weiß, dass der Campingplatz restlos ausgebucht ist. Aber es sind nicht nur Leute mit Wohnmobilen gekommen: "Dort hinten, bei dem großen Kreuz, da sind die Zelte. Dort schlafen die ganz Harten."
Die meisten Kirchentagsbesucher sind um 21.30 Uhr noch bei ihren Veranstaltungen. Bei den Sanitäranlagen ist nur das Plätschern des Duschwassers zu hören. Die Wohnwagen bilden menschenleere Gassen, ein Mädchen saust auf einem Roller durch die Nacht. Drei Jungen spielen im Licht der Scheinwerfer Fußball. Sie laden einen Mann ein mitzumachen. "Aber doch nicht mit meinem biblischen Alter", sagt er, lacht und geht weiter. Seine Schritte knirschen auf dem Kies.
Langsam trudeln die ersten müden Camper ein und verschwinden in ihren Wohnwagen. "Am Anfang waren nur ältere Leute hier. Am Mittwochabend sind dann viele Jugendliche angekommen, die tagsüber noch Schule hatten", erzählt Barbara.
Die 16-Jährige aus der Nähe von Garmisch gehört zu dem Helferteam auf dem Campingplatz und schläft mit anderen Jugendlichen in einem großen, gelben Zelt. "Besonders in der Früh ist es extrem kalt", sagt sie. "Da hilft es nur, sich dick anzuziehen. Jetzt habe ich schon vier Schichten an und ich friere trotzdem." Barbara hofft, dass diese Nacht wenigstens trocken bleibt: "Der Regen ist schlimm, am Mittwoch sind sogar ein paar Zelte einfach weggeschwommen."
Als Helferin muss Barbara jeden Morgen um 6.15 Uhr aufstehen, um das Frühstück für die Camper vorzubereiten. "Wir versorgen jeden Morgen 1000 Gäste", sagt sie.
Barbara hat den 18-jährigen Tobias hier auf dem Campingplatz kennengelernt. "Ich komme aus Nordendorf bei Augsburg", erzählt er. Auch Tobias arbeitet im Helferteam mit, hat aber einen entscheidenden Vorteil: Er schläft in einem Wohnwagen, wo es warm ist.
Aus dem großen Festzelt auf dem Campingplatz dringt Gelächter. Hier wird morgens das Frühstück ausgegeben und am Abend gibt es bis 22.30 Uhr einen Getränkeverkauf. Die Erwachsenen sitzen zusammen und trinken Bier. Ein Familienvater beugt sich über das Programm des Kirchentags und macht Pläne für den nächsten Tag. Aus einer Ecke des Zelts ist lautes Lachen zu hören, dort sitzt eine Gruppe Jugendlicher.
Um 22.00 Uhr beginnt die Abendandacht. Der Pfarrer will zum Abschluss des Tages noch einmal das Wort Gottes verkünden. Er liest einen Psalm vor: "Kein Unglück naht sich deinem Zelt", heißt es da. "Herr, du bist das Feuer, das mich wärmt, deine Liebe taut mich auf." Wärme können vor allem diejenigen, die im Zelt übernachten, in dieser Nacht gut gebrauchen.