Serie: Menschen am Fluss:Die Welle, das Wasser und ich

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Sobald Wolfrik Fischer auf dem Brett steht, klinkt er sich aus dem Alltag aus. Den Fluss-Surfer der ersten Stunde prägt die Isar seit Jahrzehnten

Von Andrea Schlaier, München

Da kommt er angeradelt in diesem provozierend makellosen Setting aus glitzerndem Fluss, glühender Sonne und blattgrüner Auenlandschaft: Sitzt auf seinem orangen E-Bike, mit Leder-Hose, T-Shirt und Flip-Flops, das Surfbrett unter den gebräunten Arm geklemmt. Man dachte, diese kalifornische Selbstverständlichkeit gibt es nurmehr beim Stadtwerke-Marketing. Aber Wolfrik Fischer ist echt. "Mei,", sagt der Mann in diesem geschmeidig weichen Münchnerisch. "Ich hab die Isar quasi mit der Muttermilch aufgesogen." Es gibt Fotos von Wolfrik Fischer als Baby auf der Wolldecke mit Papa und Mama am Isar-Hochufer unterm Maximilianeum, im Hintergrund rauscht das Hochwassernach unten. Hier ist der 52-Jährige aufgewachsen, das Elternhaus stand ein paar Meter weiter an der Maria-Theresia-Straße. "Meine erste bewusste Beziehung zur Isar setzt ein, als mich mein Großvater bei Hochwasser mit zum Fluss genommen und mir dieses Naturschauspiel gezeigt hat." Da war der Bub noch nicht in der Schule und der Eindruck von den Wassermassen seien so elementar gewesen, dass ihn das lange geprägt habe. "Das Verrückte war, dass mir mein Großvater erklärt hat, dass, wenn ich da mal reinfallen sollte, es ja diese Notausstiegsleitern gebe, über die ich wieder rauskäme." Die Folge: "Ich hab' einen riesen Schiss vor der Isar gekriegt!"

Fischer erzählt das auf einer Holzbank sitzend, das E-Bike steht daneben, das Board liegt neben ihm - in Steinwurfweite von der Floßlände entfernt. Es ist die zweite stehende Welle in der Stadt und Fischer hat sie mit den Mitgliedern der Interessengemeinschaft Surfen in München (IGSM) und zwei Ingenieuren nach sieben Jahren Auseinandersetzung mit der Stadt und den Stadtwerken wieder bereit gemacht zum Reiten. Sie haben ein System entwickelt, mit dem sich die Welle trotz der geringen Wassermenge in der Floßlände aufbauen kann und zwar durch eine Art Schaufel, die das Wasser nach oben drückt und so eine fahrbare Welle produziert. Damit ist ein historischer Sport-Ort Münchens wieder nutzbar. Denn glaubt man den River-Surfern dieser Stadt, von denen es 2000 geben soll, ist hier am 5. September 1972 das Fluss-Surfen überhaupt erst erfunden worden. Eisbachwelle und Floßlände, sagt Fischer, machen München bis heute zum weltweiten Hot-Spot der Fluss-Surfer.

Bei Fischer selbst hat's gedauert mit dem Surfen. Erst war die Isar Spielwiese zum Höhlenbauen, später ging es über die Notleitern zum Baden. "Erst da hat sich bei mir auch die Angst vor der Isar verloren." Zunächst kam das Skateboarden. "Da, wo jetzt das P1 ist, neben dem Haus der Kunst, war früher das Restaurant Piroschka, von dem es einen Weg in den Englischen Garten gab. Da sind wir runter gefahren." Der Eisbach als Ableitung der Isar durch den Englischen Garten lag auf der anderen Seite des Gebäudes, also in jeder Beziehung nah. Damals gab's da schon das "Brettlrutschen" oder "Schleppbrettfahren" mit einem Betonschalungsbrett oder einer alten Holztür, die man von der Mitte des Brettes an einen Baum gebunden habe. "Links und rechts wurden Griffe hingemacht und mit der Strömung Spannung aufgebaut und dann ist man so übers Wasser geglitten." Bis es einen schweren Unfall gab.

Auch für den Buben vom Isarhochufer gab es eine Zäsur. Die Elternzogen aufs Land, er selbst stürzte sich mit dem Board auf die Wogen des Atlantik. Nach dem Abitur dann Job, Frau, zwei Söhne, Sportpause. "Erst durch meine Kinder bin ich wieder in Kontakt gekommen." Dem Ältesten baute er ein Boogie-Board, ein kurzes Brett zum Wellenreiten, und ging mit den Jungs erst einmal an die Floßlände, die einzige Anfängerwelle in der Stadt. Auf dem Rückweg sind die drei an der Eisbachwelle vorbeigekommen. "Meine Söhne haben mich quasi gezwungen, wieder reinzuspringen. Mich hat's sofort wieder gepackt."

Sobald Fischer auf dem Brett steht, ist er weg für alle andern. Der 52-Jährige lacht und streicht sich das lange Haar mit festen Griff zurück: "Surfen ist für mich ein vollkommenes Ausklinken aus dem Alltag, eine Art Meditation." Er vergesse die Leute, die um ihn rum stehen, und wenn es Hundert sind. "Die Welle, das Wasser und ich." Sonst ist da nichts mehr. "Ich bin eigentlich ein typischer Fluss-Surfer, der faul aus dem Stand oder im Sitzen in die Welle geht." Im Ozean funktioniere das nicht. "Im Fluss muss man permanent ausgleichen zwischen Gasgeben und Bremsen, dann den Turn machen, also hin und her fahren." Im Meer schiebe einen die Welle, "man fährt eigentlich dauernd bergab."

Die Isar präge ihn bis heute, sagt Fischer. "Sie ist ein lebendiges Wesen mit vielen Gesichtern und auch wenn ich es schade finde, dass durch die Renaturierung Surf-Wellen verloren gegangen sind, finde ich die Aktion gut." Der Fluss mache was mit einem, mit den Urmünchnern, energetisch. Allein durch die Tatsache, dass man über die Isar, wenn man's drauf anlegen würde, zum Meer käme, habe etwas mit Freiheitsliebe zu tun. Wenn man's drauf anlegen würde, könnte man sagen, der Fluss habe sogar mit seiner Berufswahl zu tun. Fischers Firma produziert Spezial-Effekte für Werbung und Film, oft geht es um Modellbauten für Szenen im Wasser. Materialexperte und Entwickler von Finnen fürs Fluss-Surfen ist er auch. "Es ist schön, was zu entwickeln in einer Sportart, die man selbst betreibt."

© SZ vom 24.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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