Mitten in Unterhaching:Schnüffler auf der Datenautobahn

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Hunde können nicht messen, wie breit die Gassimeile ist. Das ist ihnen auch herzlich egal. Denn sie sind viel zu sehr damit beschäftigt, die Nachrichten ihrer Bekannten auszuwerten

Von Michael Morosow

Mit seinen bis zu 220 Millionen Riechzellen ist der Hund dem Menschen um mehrere Nasenlängen voraus. Dafür kackt er in anderen Bereichen ab. Sunna zum Beispiel, ein Boxerweibchen, ist mit einer echt peinlichen Schwäche in Mathematik geschlagen. Was heißt Schwäche - in Algebra hat sie null Ahnung, in Geometrie noch weniger. Das sind nun wirklich sehr schlechte Voraussetzungen für einen geordneten Auslauf im Landschaftspark Hachinger Tal, wo die Gemeinde vor sieben Jahren die weltweit wohl erste Gassimeile hatte anlegen lassen. Inzwischen, so möchte man meinen, sollte es sich in Hundekreisen herumgesprochen haben, dass dieses Geläuf entlang eines Zauns verläuft und exakt 1650 Meter lang und fünf Meter breit ist. Und dass das Herrchen vor anderen Herrchen und Frauchen recht blöd dasteht, wenn sein Hund schon kurz nach dem Start die abgesteckte Spur nicht mehr halten kann und mitten auf der vom Gartenbauverein Unterhaching mit viel Liebe angelegten Streuobstwiese ein Häufchen setzt.

Zur Verteidigung von Sunna lässt sich die Annahme ins Feld führen, dass dieser Regelverstoß noch vor wenigen Monaten nicht passiert wäre. Denn damit auch der dümmste Hund weiß, wie breit fünf Meter sind, wird die Gassimeile gemäht, grenzt sich damit vom hohen Gras der Streuobstwiese ab, die absolut pfui ist für ihn. Im Winter freilich wächst kein Gras mehr. Dann sind all jene Hunde potenzielle Regelverletzer, solange sie noch nicht den richtigen Umgang mit Maßbändern beherrschen, mit denen sie im Zweifel die Auslaufstrecke abmessen könnten. Hätte Sunna die fünf Meter Breite schätzen sollen, frei Schnauze, sozusagen? "I heb's glei auf", beeilt sich das Herrchen zu rufen und raschelt demonstrativ mit der Hundekottüte.

Nur noch 1625 Meter. Sunna aber kann jetzt gerade leider nicht weitergehen, weil ihre empfindliche Nase verrückt spielt. Die Boxerin ist zum ersten Mal im Landschaftspark, mithin konnte sie noch keine Nachricht lesen, die andere Hunde vor ihr im kurzen Gras hinterlassen haben. An der Verständigungstechnik von Bello, Wuff und Burli hat sich nichts geändert, seit sie vom Wolf zum Menschen gewechselt sind. Und die Gassimeile, so muss man wissen, gilt in Hundekreisen als eine äußerst ergiebige Datenautobahn. Hier lohnt es sich, seine 220 Millionen Riechzellen auf Empfang zu schalten. Während Sunna gerade eine Nachricht liest, setzt nur 50 Meter weiter vorne ein Collie einen umfangreichen Datensatz ab. Es muss eine wichtige Message sein, vielleicht sogar ein Rundbrief. Sunna antwortet prompt mit gelber Tinte.

Nur noch 1575 Meter. Der Collie hat den verbliebenen Rest vom großen Datensatz auf der Streuobstwiese aufgespürt. Sunna eilt herbei. Die beiden küssen sich. Wahrscheinlich war es eine Kontaktanzeige. Wir machen kehrt.

© SZ vom 15.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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