Mitten in Unterhaching:Im Sprint durch Aktenberge

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Schnell lesen kann man lernen - etwa in der Volkshochschule

Kolumne von Iris Hilberth

Wenn der Unterhachinger Bürgermeister Wolfgang Panzer in der Gemeinderatsitzung ansetzt, um Beschlussvorlagen vorzulesen, holt er vorher ganz tief Luft, damit die Wörter dann möglichst flott aus dem Mund sprudeln. Keiner kann das so schnell wie er. Und vermutlich keiner tut sich das sonst auch an, stundenlang sämtliche Anregungen der Planungen vorzutragen. Weil Panzer meist noch dazu sagt, dass er die kürzere Variante wählt, lässt sich erahnen, wie lange dieser Redeschwall dauern würde, wenn er auch noch die kompletten Stellungnahmen von Trägern öffentlicher Belange referieren würde. Man kann ihm aber nicht vorwerfen, nicht alles zu geben, um so schnell wie möglich zum Ende zu kommen. Niemand liest so schnell wie Panzer. Höchstens Notare.

Ob er dieses Tempo zu Hause auch bei den Gutenachtgeschichten für seine Kinder durchhält, ist nicht bekannt. Aber mit einer solchen Geschwindigkeit könnte er locker an einem Abend sämtliche Bände der drei Fragezeichen durchkriegen. Was man auch nicht weiß, aber durchaus ahnt: Ohne Training und sachkundige Anleitung kann er dieses Niveau im Schnell-Lesen nicht erreicht haben. So ein oraler Sprint durch die vielen gedruckten Zeilen erfordert jede Menge Übung. Gut, hin und wieder strauchelt auch die Bürgermeisterstimme, wenn sie zum 27. Mal den Satz "Die Anregung wird zur Kenntnis genommen" in höchstens einer Millisekunde intoniert. Aber meistens hetzt der Rathauschef ohne Punkt, ohne Komma, ohne Pause durch den Text.

Für Panzer ist dieses Karacho beim Lesen ganz normal. Darum versteht er es auch nicht, welches Problem der Grünen-Gemeinderat Stefan König damit hat, ein 41-seitiges klimatologisches Gutachten in der Mittagspause durchzulesen, wie der kürzlich beklagte. Schon klar, König ist weder Bürgermeister noch Notar. Deshalb hätte er die Unterlagen gerne früher, um sie in Ruhe durchzulesen. Sollte das auch zukünftig nicht klappen, gibt es trotzdem eine gute Nachricht für König: Die Volkshochschule im Norden des Landkreises bietet jetzt einen Kurs mit dem Titel "Schneller lesen" an. "Sie haben es satt, in der Informationsflut zu strampeln und wollen von Ihren Papierstapeln kein schlechtes Gewissen mehr bekommen?" wirbt die VHS für diese Schulung. Auf alle Fälle eine Pflichtveranstaltung für Bürgermeister.

© SZ vom 30.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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