Mitten in Taufkirchen:Freie Fahrt im schwarzen Loch

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Hier filmt eine Kamera, dort lauscht der Smart-Fernseher. Kein Mensch macht heutzutage irgendetwas unbemerkt. Doch Dank SPD ist jetzt bekannt: Es gibt ein Eck im Landkreis, wo jeder die Sau rauslassen kann

Von Lars Brunckhorst

Unerkannt zu bleiben, geht ja heutzutage fast gar nicht mehr. Ob am Bahnhof, im Supermarkt oder vor dem Geldautomaten - überall und ständig beobachten einen Überwachungskameras. Wer ein Handy hat, hinterlässt auf Schritt und Tritt Bewegungsmuster und ist's ein Smartphone, wissen Apple, Google und Co. obendrein, für was wir uns so alles interessieren. Dank Plastikgeld lässt sich genau nachvollziehen, was man wann wo gekauft hat, und wer einen Smart-Fernseher hat, den belauscht dieser, während er sich auf der Couch mit dem Partner um die Fernbedienung zankt. Schließlich noch diese neuen Fitness-Tracker, die uns daran erinnern, wenn wir mal wieder den Aufzug statt der Treppe genommen und den Schokoriegel anstelle des Apfels gegessen haben. Schöne, überwachte neue Welt.

Aber es gibt sie noch, diese schwarzen Löcher des prä-informellen Zeitalters, diese Oasen der Abgeschiedenheit, diese Wurmlöcher in der sonst üblichen Zeit-Raum-Konstanten. Und sie liegen nicht auf abgelegenen Almhütten oder in fernen Urwäldern. Nein, eine solche Lücke im gefühlten Überwachungsstaat ist die A 995 zwischen Giesing und Taufkirchen. Hier bleibt man völlig unerkannt und vor allem ungestraft, kann Vorschriften überschreiten und Gesetze brechen und keiner kriegt's mit. Diese neue Erkenntnis verdanken wir der SPD in Taufkirchen, die ja sonst auch eher unbemerkt ihr Dasein fristet. Die Taufkirchner Sozialdemokraten jedenfalls machten diese Woche öffentlich, warum ihr Kampf für ein ausgeweitetes Tempolimit auf der Giesinger Autobahn vergebens ist: Schon eine Überwachung der bisher gültigen Geschwindigkeitsbegrenzung in der Nacht sei nicht möglich, weil es auf der ganzen elendigen Strecke keine einzige Möglichkeit gebe, einen Blitzer aufzustellen. Das hat der SPD die Polizei mitgeteilt.

"Ja prima!", ruft da der gegängelte Autofahrer aus und schlägt sich mit der flachen Hand auf den Bleifuß, während am Seitenfenster die Ausfahrten Unterhaching-Nord und Taufkirchen-West vorbeifliegen. Dann kann ja auch zwischen 22 und 6 Uhr, wenn ein Tempolimit gilt, ungestraft aufs Gaspedal gedrückt werden, um stadtauswärts zu brettern. Es mag nicht im eigentlichen Sinne der SPD gewesen sein, diese Erkenntnis an die ganz große Glocke zu hängen. Bei einem großen Teil des autofahrenden Wahlvolks dürften sich die Sozialdemokraten damit aber beliebt gemacht haben. Und das ist für eine Partei, die es schafft, meistens unerkannt zu bleiben, ja auch nicht das Schlechteste.

© SZ vom 08.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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