Mitten in Pullach:Mein Nachbar, der Spion

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Das Leben mit den Schlapphüten vom BND lieferte skurrile Momente. Selbst Schulausflüge wurden zum Problemfall

Von Claudia Wessel

Ich bin dann mal weg", sagen so manche Ehemänner und Ehefrauen im schönen Pullach regelmäßig zu ihren angeheirateten Partnern. Anders als Hape Kerkeling verraten sie jedoch nicht, in welcher Richtung sie unterwegs sind. Als Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes - auch nach dem Teilumzug des BND nach Berlin bleiben noch 1000 Personen in Pullach und viele wohnen auch in der Gemeinde - haben sie öfter mal eine streng geheime Mission an einem streng geheimen Ort und mit streng geheimer Identität. Keine Ahnung zu haben, wo der eigene Mann steckt, ihn nicht mal kurz anrufen zu können, das muss eine wahrhafte Loslass-Übung sein.

Mit wenig zufrieden sein mussten auch die ganz gewöhnlichen Pullacher als Nachbarn des BND seit jeher, wie Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund anlässlich der Feier zu 70 Jahre BND in Pullach verriet. Die Bürger lebten um die Ecke von diesem mysteriösen Gelände, das viele Jahrzehnte lang nur "Liegenschaftsverwaltung" hieß, waren ihm aber doch so fern. Wissen zu wollen, was genau hinter den Stacheldraht-Mauern geschah, war unmöglich. Auch welcher Nachbar im Dienste des BND tätig war, blieb ein Geheimnis. So konnten in Tausendfreunds Schulzeit Pullacher Kinder keine Klassenfahrten nach West-Berlin machen. Denn es konnten ja Sprösslinge von BND-Mitarbeitern dabei sein, die auf einer solchen Fahrt in Kidnapping-Gefahr gewesen wären.

Ein Ort voller geheimnisvoller Personen also, und voller Sehnsucht, hinter die Mauern zu schauen. Als Politikerin konnte Tausendfreund das tun und sie entdeckte im Inneren des BND Spektakuläres wie drei Kreisverkehre und ein heute nicht mehr existierendes Schwimmbad, in dem "vielleicht Spione das Abtauchen übten". Vom 22. Juni bis 22. Juli können nun auch die Pullacher Bürger einen Blick hinter die Kulissen werfen und im Bürgerhaus die Fotodokumentation "Licht. Schatten. Der Bundesnachrichtendienst 1956 bis 2017" bewundern, von einem Fotografen, dem gestattet wurde, im Inneren des BND zu fotografieren. Doch selbst um diesen rankt sich ein Geheimnis. Noch 2014, als seine Ausstellung und das dazu erschienene Buch "Nachts schlafen die Spione" herauskamen, hieß er Martin Schlüter, heute lautet sein Name Martin Lukas Kim - "vielleicht ein Deckname", wie die Bürgermeisterin vermutet. In Pullach ist so etwas aber kein Grund zur Aufregung. Da ist man schon froh, wenn eine Person anwesend ist, mit welcher Identität auch immer. Martin Lukas Kim hat sich jedenfalls angekündigt.

© SZ vom 08.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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