Mitten in Ottobrunn:Übler Ausraster, üble Hetze

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Eine Rettungsassistentin wird durch einen Flaschenwurf schwer verletzt. Die Tat macht fassungslos. Doch gleiches gilt für die Attacken in sozialen Netzwerken, die es nur gibt, weil der Täter kein Deutscher ist

Kolumne von Lars Brunckhorst

Es gibt Taten, die hinterlassen einen fassungslos. Der Angriff auf eine Notärztin und einen Sanitäter in Ottobrunn ist so eine Tat. Zwei Menschen, die anderer Menschen Leben retten, werden grundlos und brutal attackiert. Dass ihr Einsatz ernst sein würde, wussten die 46-jährige Ärztin und ihr Fahrer, als sie am Freitagabend zum Hanns-Seidel-Haus gerufen wurden. Doch was vor dem Altenheim geschah, war nicht vorhersehbar: Als der Notarztwagen eintraf, kamen zufällig zwei junge, offenbar stark alkoholisierte Männer vorbei. In einem Anflug blinder Wut schleuderte einer von ihnen eine volle Whiskyflasche auf das Auto der Retter. Die Flasche durchschlug die Seitenscheibe und traf die Notärztin im Gesicht. Die Frau erlitt einen Kieferbruch, Schnittwunden und ein Schädel-Hirn-Trauma, außerdem verlor sie mehrere Zähne. Ihr Kollege wurde durch Splitter am Auge verletzt.

"Verabscheuungswürdig" sei die Tat, fand Ottobrunns Bürgermeister Thomas Loderer anderntags mit etwas Abstand passende Worte. Er war noch am Freitagabend zum Tatort geeilt. "Nicht tolerierbar", sagt auch Diakon Karl Stocker, der den örtlichen Asylhelferkreis leitet. Die Tatsache, dass es sich bei dem Täter und dessen Begleiter um Flüchtlinge handelt, beschädige auch die Arbeit der Helferkreise. Auch drei Tage danach sucht man in Ottobrunn noch nach einer Erklärung für den Gewaltausbruch. Lag es nur am Alkohol? Oder daran, dass die beiden Männer zuvor in ihrer Wohngruppe bereits zwei Betreuerinnen angegriffen und diese daraufhin die Polizei verständigt hatten? Hatten sie das Notarztauto, das mit Blaulicht kam, mit einer Polizeistreife verwechselt? Fragen, auf die es bisher keine Antworten gibt und die im übrigen den Ausraster auch nicht erklären könnten.

Das gilt auch für die Ausraster in den sozialen Netzwerken. Weil es sich bei den beiden Männern um Flüchtlinge handelt, wird in ihnen auf zum Teil menschenverachtende Weise generell gegen Flüchtlinge gehetzt. Es findet sich eine üble Mischung aus Volksverhetzung und kaum verbrämter Anstachelung zu Gewalt gegen Asylbewerber und ihre Helfer. Auch "Fake News" werden verbreitet: Bürger, vermutlich Linke, hätten Polizisten angegriffen, um die Verhaftung der Täter zu verhindern. Auch wenn die Polizei dementiert - die Gerüchte halten sich.

Keine Frage: Die Tat ist durch nichts zu entschuldigen. Und das Mitgefühl gilt der schwer verletzten Notärztin und ihrem Kollegen. Aber die Auswüchse einer von einigen Parteien geschürten Anti-Asyl-Stimmung sind genauso wenig zu entschuldigen. Und wenn Bayerns Innenminister den schrecklichen Vorfall als Bestätigung für die CSU-Asylpolitik nimmt, schürt er diese Stimmung. Übrigens: Am Wochenende wurde bei einem Fest in Geretsried ein Polizist mit einem Masskrug beworfen. Das ging fast unter. Aber dort war es offenbar auch kein Flüchtling.

© SZ vom 26.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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