Mitten in Oberhaching:Null Kulanz für Ehrliche

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Ein junger Mann hat es nicht mehr geschafft, sich eine Fahrkarte zu besorgen. Bevor die S-Bahn abfährt, wendet er sich an die Kontrolleure. Die lassen ihn erstmal mitfahren - und zeigen dann keine Gnade

Von Michael Morosow

Auf der nach unten offenen Beliebtheitsskala rangieren Fahrkartenkontrolleure noch hinter Gleisbruch und Weichenstörung. Nicht bei allen, aber bei vielen Schwarzfahrern. Ein solcher will der junge Mann, der Sonntagabend am Bahnsteig Deisenhofen mit Schwung in die S 3 stürmt, auf keinen Fall sein. Er hat es nicht mehr geschafft, rechtzeitig dem Fahrkartenautomaten ein Ticket zu entlocken, will den Zug aber nicht sausen lassen, weil er in Unterhaching abgeholt wird. Durch die Waggonscheibe kann er uniformierte Fahrkartenkontrolleure sehen, nimmt sein Herz in die Hand, stürmt ihnen entgegen, einen 20-Euro-Schein in der ausgestreckten Hand, und an das Gute im Menschen glaubend.

Kurz erklärt er den Uniformierten sein Scheitern am Automaten und zeigt sich demonstrativ bereit, den Fahrpreis nachträglich zu entrichten. "Wir verkaufen keine Fahrscheine", sagt ein Kontrolleur. Er hätte dem Burschen auch raten können, schleunigst wieder auf den Bahnsteig zurückzuspringen, um sich 40 Euro Strafe zu sparen. Tut er aber nicht, steht auch in keinem Regelwerk für Fahrkartenkontrolleure. Die Türen schließen sich. Immer noch glaubt der junge Mann an das Gute im Menschen, hofft auf die Nachsicht der Bahnbediensteten, auf einen Vorschlag zur Güte wenigstens, vielleicht dergestalt, dass er eine Station später den Zug verlässt, sich eine Fahrkarte kauft und die nächste S-Bahn nimmt. Stattdessen die kühle Ansage: "Ihren Ausweis, bitte!" Dem späten Fahrgast entgleisen jetzt die Gesichtszüge, Tränen zeigen sich auf seinem Gesicht. Mit zittriger Stimme beteuert er, kein Schwarzfahrer zu sein, bittet die Uniformierten mehrmals um gnädiges Entgegenkommen. Er sei doch kein Schwarzfahrer, er sei doch auf sie zugelaufen. Schließlich schluchzt er sogar.

"Setzen Sie sich hin", herrscht ihn nun einer der Kontrolleure an. Ein anderer erklärt ihm, dass sie sämtliche Ausreden von Schwarzfahrern bereits kennen würden. "Kulanz gibt es nicht", sagt er noch und beteuert dann allen ernstes, dass er und seine Kollegen ihren Arbeitsplatz verlieren würden, wenn sie ihn nun laufen ließen. Verständnis und Nachsicht, liebe Kontrolleure, gibt es durchaus, Millionen Bahnkunden haben das zuletzt während des Lokführerstreiks bewiesen.

© SZ vom 12.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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