Wie stellen sich unsere Leser eigentlich einen Lokaljournalisten vor? Leberkässemmelessend? Ketterauchend? Und schon etwas lethargisch geworden von den wöchentlichen Besuchen beim Kaninchenzüchterverein? Die Autorin dieses Textes muss jedenfalls feststellen, dass zumindest einige, in der Regel männliche Leser und Gesprächspartner eines nicht erwarten: eine Frau Mitte zwanzig.
In Kirchheim sitzt sie an einem Tisch mit zirka 20 Anzugträgern und vier Damen im Kostüm - alle zwischen 40 und 60 - und dem Kollegen B. von einer anderen Zeitung, in ähnlichem Alter. "Ich begrüße recht herzlich die Vertreter der Presse", sagt der Vorsitzende, das grauwerdende Haar mit Gel zurückgekämmt, das Hemd weiß und faltenfrei, der Anzug blau und sicher nicht von C&A. "Herr B.", fährt er fort, "bitte verzeihen Sie mir die Anmerkung, aber ich muss schon sagen, Ihre Kollegin hat wirklich etwas, das Sie nicht haben".
Der Unterton ist eindeutig. Würde das jemand in einer Kneipe zu ihr sagen, wäre sie um eine direkte Antwort nicht verlegen. In der Runde Geschäftsleute aber schweigt sie, schaut auf die Tischplatte und spürt, wie ihr Kopf langsam immer wärmer wird. Erst ein paar Stunden zuvor war Ähnliches passiert: Der Mann, den sie wegen seiner Kandidatur für den Landtag interviewt, sagt: "In Echt sehen Sie viel schöner aus als auf den Bildern im Internet." Er ist 60 und meint es als Kompliment. Darüber freuen kann frau sich aber nicht. Eine Lokaljournalistin hat, ebenso wie ihr männlicher Kollege, heutzutage mindestens sechs Jahre studiert, fünf Praktika absolviert und arbeitet oft bis nachts um 23 Uhr. Dafür möchte sie Respekt. Nicht für das nette Gesicht.