Mitten in Grünwald:Tonausfall im Sitzungssaal

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Um vermutlich hoch brisante Details elegant an der öffentlichen Debatte vorbeizuschleusen, bedient sich der Gemeinderat der Technik - ebenso wie der Hilfe des örtlichen Pfarrers.

Kolumne Von Michael Morosow

Gute Augen und offene Ohren sind neben etwas Verstand das Handwerkszeug von Journalisten. Wer in dieser Hinsicht blank dasteht, könnte zur Not in die Politik gehen, für eine Leserschaft wäre er jedenfalls kaum von Nutzen. Es gibt aber Situationen, da bringen geschärfte Sinnesorgane wenig.

Geothermieausschuss diese Woche im Grünwalder Rathaus. Es ist eine öffentliche Sitzung, sogar alle Fenster hinter dem Pressetisch stehen sperrangelweit offen. Wer sich ein bisschen Mühe gibt, könnte aber den Lärm eines Brummis oder eines aufheulenden Motorrads ausblenden und sich auf das gesprochene Wort im Gremium konzentrieren. Könnte. "Der Geothermieaus (...) beschließt, die (...) zu ermächtigen (...) zu beauftragen (...)" - die Lautsprecheranlage funktioniere wieder mal nicht, erklärt Bürgermeister Jan Neusiedl die Tonausfälle.

Dann richtet man sein Augenmerk halt auf die vielen Zahlen und Daten, die ein Beamer an die Wand projiziert. Leider flackert das Bild so heftig, als würde unten im Rathausfoyer ein 20 Zoll starker Geothermie-Bohrmeißel durch den Fußboden getrieben. Die Augäpfel renken sich aber erstaunlich schnell wieder ein, und wenn man jetzt Lippen lesen könnte, wäre es durchaus möglich zu verstehen, wie die Antwort des Grünwalder Geothermie-Chefs Andreas Lederle auf die Frage eines Ausschussmitglieds, vermutlich eines Mannes, ausgefallen ist. Von hinten erkennt man die Leute leider nur schwer, weil die Rückenlehnen ihrer Sessel sie komplett unsichtbar machen.

Als wieder irgendjemand irgendetwas, vermutlich zur Jahresbilanz, zum Besten gibt, fällt einem dann auch noch der Pfarrer in den Rücken. Was in der Zeit zwischen 20.30 Uhr und 20.34 Uhr besprochen wird, geht jedenfalls zur Gänze im Glockengeläut von Sankt Peter und Paul unter. Der Verdacht liegt nahe, dass es um hochbrisante Details geht und deshalb Bürgermeister Jan Neusiedl das Geläut beim Pfarrer bestellt hat. Aber was soll's, wenigstens blieb es bis zum Schluss hell im edel getäfelten Sitzungssaal, und so konnte man den auf der Leinwand wild tänzelnden Schlusssatz schon beim zweiten Hinsehen entziffern: "Danke für Ihre Aufmerksamkeit."

© SZ vom 20.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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