Mitten in Grünwald:Ein Königreich für ein Hendl

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Viele Wirte glauben, Gäste nur mit ausgefallener Speisenkarte und Schickimicki-Gastronomie in ihre "Genussgärten" locken zu können. Zeit für eine Rennaisance der einfachen, bodenständigen regionalen Küche

Kolumne von Martin Mühlfenzl

Die Reduzierung auf das Wesentliche kann echte Glücksgefühle hervorrufen. Wenn's in der Kantine mal wieder ein Hendl gibt, ein stinknormales, halbes Hendl mit krosser Haut und Kartoffelsalat - mit Gurken, denn die gehören da einfach rein. Da braucht's kein Chichi, keinen "Premium Event Service" im "Genussgarten" und kein Flair à la "bayerischer Brasserie", wie ihn die beiden Start-up-Gastronomen versprochen hatten, die das Gasthaus in Wörnbrunn wieder in eine "gastronomischen Institution" im Münchner Süden verwandeln wollten. Doch nach nur einem Vierteljahr gaben sie ihr Vorhaben auf.

In München eröffnen derzeit gleich drei neue Restaurants, die ihren Schwerpunkt allesamt auf Steaks und allerlei Blutiges legen. Das ist aus Sicht der fleischverarbeitenden Kundschaft mehr als löblich. Aber was soll diese Fokussierung auf mehrere Tage lang Sous-vide-Gegartes, US-Beef mit den Qualitätsstufen Prime und Choice oder der Einsatz von Fleischsommeliers, die im "Grillroom" von Maserungen und Marmorierungen fabulieren? Und wann hat überhaupt dieser Trend seinen Anfang genommen, Weißwürste zu karamellisieren, zu Türmchen zu drapieren und selbst die einfachsten und doch wohlschmeckendsten Gerichte aus Omas zerfleddertem Kochbuch mit Ingwer in Ungenießbares zu verwandeln?

Natürlich, früher war nicht alles besser, und die Wohlstands-Einheits-Küche der Fünfzigerjahre wünscht sich auch niemand zurück. Aber die Zeit, zu der es noch ein bayerisches Wirtshaus im Ort gab (wo es heute meist gar keines mehr gibt), in dem die Einfachheit ihren Platz hatte und ein halbes Hendl keine Seltenheit war, dürfte gerne eine Renaissance feiern. Auch im Grünwalder Weiler Wörnbrunn. Denn dass die Grünwalder nur der Schickimicki-Gastronomie frönen und gute, alte, bayerische Küche verschmähen, ist nicht bewiesen. Sondern eher das Gegenteil: Dass sie einen Pop-up-Biergarten für neumodischen Schmarrn halten, den es nicht braucht.

© SZ vom 27.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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