Mitten in der S-Bahn:Der Ton macht die Musik

Lesezeit: 2 min

Schwarzfahrer dürfen sich ihre Ausreden sparen

Von Berthold Neff

Zu den wenigen Vorurteilen, die gelegentlich von der Wirklichkeit bestätigt werden, gehört sicherlich jenes, dass dem Bayern im Allgemeinen und dem Münchner im Besondern ein gewisser Grant zu eigen ist. Ab und zu ist auch heute, obwohl Wirtshausraufereien in Ermangelung entsprechender Lokale immer seltener werden, immer noch zu beobachten, dass diese notorisch schlechte Laune sogar in Grobheit ausartet und sich dabei gerne gegen all diejenigen wendet, die es aus anderen Teilen Deutschlands, also dem Land der Preißn, an die Isar verschlägt. Wenn es ganz schlimm kommt, werden diese Zugroasten dann Saupreißn genannt. Das hindert sie allerdings nicht daran, uns im Sommer schweißtreibenden Körperkontakt in der rappelvollen S-Bahn zu bescheren und die Mieten in und um München anschwellen zu lassen.

Den anderen Ausländern gegenüber, die es aus Europa und der weiten Welt zu uns verschlägt, ist der Münchner vor allem dann tolerant, wenn sie nur mal kurz vorbeischauen und nach einem veritablen Rausch auf der Wiesn wieder das Weite suchen. Ganz anders halten es die Verkehrsunternehmen wie MVG, S-Bahn oder RVO, die sich im Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV) zusammengeschlossen haben, um uns, die Saupreißn und die sonstigen Ausländer durch die Stadt zu kutschieren. Außer in Deutsch warnen sie in U- und S-Bahn auch in Englisch, Französisch, Italienisch und Türkisch vor den fatalen Folgen des Schwarzfahrens, das derzeit noch mit 40 Euro zu Buche schlägt, demnächst sollen es ja 60 Euro sein - das wären immerhin 120 Mark.

Der Text dazu, wie man dieses erhöhte Beförderungsentgelt tunlichst vermeidet, ist in den vier Fremdsprachen aufs Allerhöflichste formuliert. Im Deutschen allerdings ist er saugrob gehalten: "Egal, ob Sie keine Fahrkarte besitzen oder einfach nicht gestempelt haben. Welche Gründe Sie auch vorbringen: Glauben Sie uns, es gibt keine Ausrede, die wir noch nicht gehört haben. Wir kennen sie alle und keine zieht."

Was soll man dazu sagen, vor allem dann, wenn einem die Kontrolleure gnadenlos vor Augen führen, dass man auch nach 30 Jahren täglicher MVV-Praxis das überaus komplizierte Konzept der Kurzstrecken, Ringe und Bartarife nicht kapiert hat? Wenn die übrigen Fahrgäste verschämt wegschauen, weil sie die Pein des Delinquenten nicht mitansehen können? Soll man sich durch Blödheit rauszureden versuchen?

Da keine Ausrede zieht, können wir uns selbst die besten und peinlichsten gleich sparen. Insbesondere wäre es auch fatal, in den Ton zu verfallen, in dem man uns grade eben noch vor dem Schwarzfahren gewarnt hat. Man könnte uns eine Antwort in diesem Stil als Beamtenbeleidigung auslegen - egal, welche Gründe wir auch vorbringen. Man kennt sie alle, und keiner zieht.

© SZ vom 14.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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