Mitten in Baierbrunn:Unverdrossen dank Drosten

Lesezeit: 1 min

Ein Räucher-Virologe auf dem Schreibtisch des Bürgermeisters könnte die Rettung in der Pandemie sein

Kolumne von Udo Watter

Für katholisch geprägte Wessis wie die Oberbayern gilt die "geflügelte Jahresendfigur" als Paradebegriff humorfreier DDR-Bürokratie und steter Quell der Belustigung. Dabei ist gar nicht sicher, ob es diese Bezeichnung, mit der man im Arbeiter- und Bauernstaat den Weihnachtsengel mutmaßlich seines christlichen Charakters entkleiden wollte, überhaupt offiziell gab oder ob es nur eine ironische Wendung war, erfunden im Dunstkreis des Satire-Magazins Eulenspiegel. Die Objekte, um die es im Wesentlichen ging, sind jedenfalls die berühmten (geschnitzten, gedrechselten) Spielzeugfiguren aus dem Erzgebirge und Connaisseure der Begriffsgeschichte unterscheiden zwischen Jahresendfiguren mit (Engel) oder ohne Flügel (Weihnachtsmann, Bergmann etc.).

Bei der kleinen Skulptur, die seit Anfang der Woche den Schreibtisch von Baierbrunns Bürgermeister Patrick Ott ziert, handelt es sich definitiv um eine Jahresendfigur ohne Flügel. Standesgemäß stammt sie aus Seiffen, dem berühmten Spielzeugdorf im Erzgebirge, und eine gewisse heilsähnliche Wirkung dürften ihr mache auch zuschreiben, wenn auch ohne christlich-transzendentale Note: Es ist ein original Drosten-Räuchermännchen.

Ott, der nach der Wende in den Osten ging und von 1990 bis 1994 für die FDP im sächsischen Landtag saß, hat die Figur jetzt erworben: "Ein lieber Freund aus meinen Dresdner Zeiten, der Seiffener Kunsthandwerker Tino Günther, hat den entwickelt und auch schützen lassen", so Ott. Den Räucher-Virologen, der mit qualmendem Lockenkopf, weißem Kittel und Mundschutz stark an Christian Drosten erinnert, gibt es seit vergangenem Jahr und die Nachfrage ist seither - auch befeuert von einem Bericht der Bild - weit über die Grenzen Sachsens und Deutschlands hinaus groß.

In Baierbrunn wird er als Räuchermännl hoffentlich nicht den Kopf des Rathauschefs vernebeln, sondern könnte in der Vorweihnachtszeit quasi als Tischtalisman die Rolle des Schutzgeistes übernehmen und etwaige Viren am Eintritt hindern. Patrick Ott zitiert angesichts der momentan sich zuspitzenden pandemischen Lage - der Christkindlmarkt in der Gemeinde musste jetzt auch schweren Herzens abgesagt werden - den alten deutschen Definitionsklassiker: "Humor ist, wenn man trotzdem lacht." Oder anders gesagt: Lieber Drosten statt verdrossen.

© SZ vom 17.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: