Mitten im Landkreis:Schlüsselerlebnis in der Kantine

Lesezeit: 2 min

Der Mensch wird im Leben von Zufällen begleitet, das wusste schon Karl Valentin

Kolumne von Michael Morosow

Zufall ist vielleicht das Pseudonym Gottes, wenn er nicht selbst unterschreiben will", hat der Dichter Anatole France einst vermutet. Sicher ist hingegen, dass das Leben weit weniger spannend wäre, gäbe es keine Zufälle, erfreuliche wie unerfreuliche. Von der Wiege bis zur Bahre begleiten sie einen, wobei, genau genommen, der existenziellste bereits neun Monate vor der Geburt unseren Weg kreuzte.

Als erstes und einziges von etwa 500 Millionen Spermien eine Eizelle gefunden zu haben, das ist doch wahrlich ein glücklicher Zufall, für die 499 999 999 auf der Strecke gebliebenen Konkurrenten eher nicht. Da sich bislang niemand gemeldet hat, der sich an sein siegreiches und am Ende fruchtbares Wettrennen in Mutters Leib zurückerinnern kann, wollen wir hoffen, dass es dabei in der Regel fair zugeht und dem zufälligen Glück nicht durch den Einsatz von Ellbogen nachgeholfen wird.

Der Zufall kann freilich auch der Vater des Unglücks sein, wenn man zum Beispiel von einem Meteoriten getroffen wird, der ausgerechnet dort einschlägt, wo man sich in dem Moment aufhält. Die Wahrscheinlichkeit beträgt 1: 182,139 Trilliarden. Zufälligerweise haben sich nun auch zwei Kolleginnen der Landkreisredaktion beim Mittagessen in der Kantine Gedanken über Zufälligkeiten im Leben gemacht.

Die eine Tochter hatte dummerweise ihren Autoschlüssel verloren, was an sich keine Seltenheit ist und jedem im Leben mindestens ein Mal passiert. "Wo?", fragt ihre Kollegin. "Am Bahnhof Berg am Laim", antwortet die Mutter. "Wann?", fragt die Kollegin. "Vor zwei Tagen", antwortet die Mutter. "War ein S auf dem Schlüssel?", fragt die Kollegin. "Ja", antwortet die Mutter. "Also", sagt die Kollegin, "ich hab' den Schlüssel gefunden und im Fundbüro abgegeben."

Wie hoch die Wahrscheinlichkeit wohl sein wird, am S-Bahnhof Berg am Laim den Schlüssel der Tochter einer Kollegin mit dem Buchstaben S zu finden und mit dieser zwei Tage danach am selben Tisch in der Kantine zu sitzen? Sicher höher, als von einem Meteoriten getroffen zu werden. Aber genauso sicher ist sie geringer als die angebliche Zufälligkeit, die den guten Karl Valentin in dem Stück "Die Orchesterprobe" so arg beschäftigte, dass er seine Partnerin Liesl Karstadt damit nachhaltig nervte.

In dem Moment, da er an einen Radfahrer gedacht habe, sei auf der Neuhauser Straße einer an ihm vorübergefahren, berichtet darin das Münchner Original und verwahrte sich auf das Schärfste gegen die Behauptung seiner Liesl, dass dies kein erwähnenswerter Zufall gewesen sei. Wahrscheinlich war es eine glückliche Fügung, dass der Humorist in dem besagten Moment nicht an einen Meteoriten gedacht hat.

© SZ vom 19.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: