Mitten im Eiskanal:Fahrt durch die Geisterbahn

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Am WM-Eiskanal am Königssee wünscht sich manch Fernsehsessel-Experte aus dem Landkreis statt des Schülereinstiegs lieber einen Ü-80-Start. Runter kommen aber eigentlich fast alle Hackl-Schorsch-Verschnitte

Von Michael Morosow

Mein Gott, jetzt verreißt es ihm auch noch den Ski", ereifert sich der Fernsehsessel-Kritiker über einen beim Hahnenkammrennen versagenden Abfahrtsläufer. Fährt er aber selbst einmal die Streif runter, mit zitternden Knien und Angstschweiß auf der Stirn, lässt er das Lästern fortan bleiben und zollt jedem Respekt, der sich in der Mausefalle nicht in die Hose macht. Aber Rennrodeln, das kann nun wirklich jedes Kind. Sich einfach auf den Schlitten legen, den Bauch nach oben wie der Hackl Schorsch, dann runterrauschen und sich im Ziel feiern lassen. Das kann doch nicht so schwer sein.

Sonntagnachmittag, WM-Eiskanal am Königssee: Ein fideles Grüppchen von der Schneesportabteilung des SV Helfendorf und drei Münchner haben noch etwas Zeit, bis die Bahn für sie freigegeben wird. "Des hätt' i mia viel bombastischer vorg'stellt", mosert ein Münchner, der es als Fernsehsessel-Kritiker schon zu olympischer Reife gebracht hat, über die kleine Tribüne an der Zieleinfahrt und die "kurze Bahn". Und dann können die Hobbyrodler auch nicht vom Herrenstart ganz oben loslegen, auch nicht weiter unten bei den Damen, sondern sie müssen auf halber Strecke beim Schülerstart einsteigen. Wie peinlich.

Plötzlich lautes Grollen von oben. Ein Viererbob rauscht im ICE-Tempo heran und donnert schließlich an der Gruppe vorbei. Das wiederum hätte sich der Münchner weniger bombastisch vorgestellt - jedenfalls entgleisen ihm jetzt die Gesichtszüge. Vielleicht ist der Schülerstart doch angemessen. Wieder anschwellender Lärm von oben. Mit gefühlter Lichtgeschwindigkeit zischt ein Skeletonfahrer durch den Eiskanal. Die Gruppe beschließt, sich nicht sofort auf das Abenteuer Schülerstart einzulassen, sondern noch einen Einstieg weiter unten ins Rennen zu gehen. Im Gesicht des "Des-hätt'-i-mia-viel-bombastischer-vorg'stellt"-Münchners kann man die Frage ablesen: "Gibt es auch einen Babystart, oder wenigstens einen Ü-80-Einstieg?"

Zu spät, das Rennen startet. Der Münchner wird Zweiter, blickt am Ziel aber drein, als hätte man ihn gerade durch eine Geisterbahn geschossen. Auf einen zweiten Start vom höheren Schülereinstieg aus verzichtet er. Nicht so der Rest der Wettkampfgruppe, darunter zwei Frauen. Die beiden Helfendorferinnen brettern mit 50 Sachen durch den Eiskanal, ein Gast aus Berlin ist noch schneller, verliert dann aber auf halber Strecke leider den Kontakt zu seinem Rodel. Es war insgesamt ein netter Ausflug in die Rennrodel-Szene, ein "viel bombastischer" sogar, als ihn sich der Münchner vorgestellt hatte.

© SZ vom 16.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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