Mahnmale:Dynamische "Gegen-Monumente"

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Orte des Gedenken wie der in Haar können in verschiedener Form ausgestaltet werden

Die Wirkung wäre ohne Frage gewaltig gewesen. Man stelle sich vor, statt einem Denkmal, eine Gedenkstätte im herkömmlichen Sinne zu schaffen, hätte jemand das Brandenburger Tor in Berlins Mitte in die Luft gesprengt, es dem Erdboden gleichgemacht und eine Lücke, einen leeren Raum geschaffen. Mit diesem denkbar radikalen, sicher nicht umsetzbaren Vorschlag, durch das Vernichten eines Monuments von Preußens Gloria an die Vernichtung des jüdischen Volks zu erinnern, hatte sich der Künstler Horst Hoheisel an dem Wettbewerb für das Denkmal für die ermordeten Juden Europas beteiligt.

Der Judaist und Holocaust-Forscher James E. Young war Mitglied der Findungskommission für dieses Denkmal und stellt in dem Buch "Restlicht - Eine temporäre Gedenkskulptur" des Münchner Künstlers Werner Mally in einem Aufsatz grundsätzliche Überlegungen darüber an, wie Gedenken, Erinnern heute funktionieren kann. Die Frage hält er für elementar, vor dem Hintergrund, dass Monumente, wie sie in der Vergangenheit errichtet wurden, um oft auch noch heroisierend historische Ereignisse in Erinnerung zu halten, in der Regel eben nicht zur kritischen, ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Geschehenen eingeladen haben. Die Künstlergeneration nach dem Krieg stand Young zufolge besonders vor der Frage, wie nach der Vereinnahmung des Monuments, des Mahnmals durch totalitäre Regime der Nationalsozialisten und auch der Kommunisten überhaupt ein Gedenkort noch gestaltet werden kann. Das Aufstellen von Kunsthandwerk oder billiges Pathos erscheint inakzeptabel.

Young spricht vom Versuch, "Gegen-Monumente" zu schaffen - also Räume, die den Betrachter nicht trösten, mit tragischen Ereignissen versöhnen oder eine einfache Form der Wiedergutmachung erlauben. Es dürfe nicht passieren, dass Menschen in dem Maß vergesslich werden, wie sie Monumenten die Erinnerungsarbeit überlassen. Ein Gedenkort dürfe nicht dazu verleiten, etwas als abgeschlossen zu betrachten und einen Schlussstrich zu ziehen. Vor dem Hintergrund von Youngs Gedanken über das "Ende des Denkmals", die er im "Restlicht"-Buch anstellt, werden Mallys Bemühungen verständlich, Gedenken als möglichst dynamischen Vorgang, in einem fortwährenden Werden und Vergehen zu fassen. Seine "temporäre Gedenkskulptur" ist - im Grunde - nicht an einen Ort gebunden. Der Baldachin mit den gestanzten Jahreszahlen von 1938 bis 1945 stand schon an vielen Orten. Es gibt zwei von diesen Skulpturen.

Eine hat seit 2015 vor dem Haarer Rathaus ihren Platz und soll später in den Jugendstilpark versetzt werden, wo sie nahe der Kindertagesstätte an der Casinostraße an die Morde an Psychiatrie-Patienten in Haar und die Deportation von Patienten in Tötungsanstalten erinnern soll. Die zweite Skulptur werde weiter auf Wanderschaft sein, so schwebt es Mally vor, um an verschiedenen Orten in Europa das Gedenken an die NS-Verbrechen wach zu halten. Beide "Restlicht"-Skulpturen sollten miteinander kommunizieren, sagt Mally,der sich an den beiden Gedenkorten auch Veranstaltungen vorstellt, bei denen unterschiedliche Themen aufgegriffen werden könnten.

© SZ vom 22.06.2019 / belo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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