Lindenpassage:Wo Angst Raum greift

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Die Ausstellung "Zeitreise" zeigt die Entwicklung des Taufkirchner Ortsteils Am Wald

Ein kleiner Pulk von Passanten hat sich vor dem Friseursalon versammelt und blickt angestrengt ins Schaufenster. Nur wenige Schritte entfernt steht ein weiteres Grüppchen und äugt durch die Scheiben des Schreibwarenhändlers. Und auch vor dem Hörgeräteladen und all den anderen Geschäften der Taufkirchener Lindenpassage herrscht ein derart reges Treiben, als würde dort jemand Freibier spendieren und obendrein Tickets für Heimspiele des FC Bayern verschenken.

Oder anders ausgedrückt: Nichts ist heute wie sonst in jenem Einkaufszentrum aus den Siebzigerjahren, in dem das Gros der Geschäfte leersteht und das zunehmend verfällt. Wo die Menschen früher zu Rewe, Schlecker und Co. geeilt sind, herrsche heute "teilweise ein erbärmlicher Zustand", so formuliert es Bürgermeister Ullrich Sander (parteifrei), der die Passage auch als "Angstraum" bezeichnet: "Abends haben hier viele Menschen ein erhebliches Gefühl der Unsicherheit." Um das zu ändern, haben sich der Arbeitskreis "Wir für Taufkirchen" und das Projekt "Soziale Stadt" etwas einfallen lassen - und das ist wiederum der Grund, weshalb sich am Dienstagnachmittag rund 120 Menschen in der Lindenpassage drängen.

Wo sonst Tristesse herrscht, stehen Menschen vor Schaufenstern. Sie blicken auf Fotografien von Alexander Dobrusskin, die auf einem Bild das alte und das neue Taufkirchen zeigen sollen. (Foto: Claus Schunk)

Denn ihre Blicke werden nicht etwa von irgendeiner Auslage in die Schaufenster der umliegenden Geschäfte gezogen, sondern von den mehr als zwei Dutzend Stoffbahnen, die dort hängen. Sie sind etwa drei mal zwei Meter groß, und auf ihnen sind Bildmotive aufgedruckt vom Taufkirchen der Siebzigerjahre - jener Zeit also, in welcher der Ortsteil Am Wald entstanden ist, der sich rund um die Lindenpassage erstreckt. "Zeitreise" heißt die Ausstellung, die an diesem Tag eröffnet wird und "ein bisschen Licht und Leben hier reinbringen soll", sagt Sander. Denn der Clou an den Bildern ist: Sobald es dämmert, werden die Fotos von hinten beleuchtet, was diese düstere Ecke sogleich etwas freundlicher wirken lässt.

Ein Großteil der Bilder, die im Großformat in den Schaufenstern hängen, stammt aus dem Fundus von Alexander Dobrusskin. Er habe sich in den Siebzigerjahren an einem Wettbewerb der Gemeinde beteiligt, erzählt er. Dabei sei es darum gegangen, Alt und Neu zusammen auf ein Foto zu bringen - sprich: den Kernort Taufkirchen und die neue Siedlung Am Wald. Entsprechend sieht man zum Beispiel auf einer Aufnahme die Hochhäuser in der Kirschenstraße im Hintergrund, während vorne auf dem Oberhachinger Weg eine Pferdekutsche vorbeitrabt. Weitere Bilder zeigen den Bahnhof, die Brücke am Hachinger Bach und Kinder, die auf einem Spielplatz toben.

Die Ausstellung in der Lindenpassage werde "keine Eintagsfliege" sein, betont Tilo Klöck, der das Projekt "Soziale Stadt" begleitet. Vielmehr sollen die Aufnahmen in den Schaufenstern regelmäßig ausgetauscht werden; dafür sei man noch auf der Suche nach historischen Fotos, sagt Klöck. Darüber hinaus werde es Veranstaltungen rund um die Ausstellung im Bürgertreff in der Eschenpassage geben - unter anderem seien Filmabende und Erzählcafés geplant. Schließlich werde die Dauerausstellung in der Lindenpassage so lange zu sehen sein, "bis die Bagger anrollen", sagt Klöck. Wann das sein wird, ist freilich noch nicht abzusehen. So geht auch Bürgermeister Sander in seiner Rede noch mal auf die verfahrene Situation rund um das Einkaufszentrum ein. Nach langen Verhandlungen hätten sich Gemeinde und Eigentümer 2016 vertraglich darauf geeinigt, dass die Lindenpassage abgerissen werden und an ihrer Stelle ein treppenförmiger Neubau mit überdachter Einkaufspassage und 182 Wohnungen entstehen soll. Vor fast zwei Jahren habe der Gemeinderat einen entsprechenden Bebauungsplan abgesegnet, sagt Sander. "Und seitdem warten wir."

Das "Problem", so nennt es der Bürgermeister, seien zwei bestehende Mietverträge, die noch Bestandsschutz genießen. Zum einen handelt es sich um eine Arztpraxis, zum anderen um ein Restaurant. Mit beiden habe man viele Gespräche geführt, sagt Sander. Eine Lösung habe es jedoch nicht gegeben. Wie lange die betreffenden Mietverträge noch laufen, will ein Besucher der Vernissage von Sander wissen. "Da sollte ich öffentlich vielleicht besser keine Zahlen nennen", murmelt der Rathauschef - ehe er es doch tut: Bis Ende 2022 laufe der eine Mietvertrag, "und der zweite sogar noch länger", sagt Sander. Sollte es keine überraschende Wendung in der Causa Lindenpassage geben, so dürfte die nun eröffnete Bilderschau also im wahrsten Sinne des Wortes eine Dauerausstellung werden.

Die Ausstellung zum Städtebaulichen Entwicklungskonzept ist im Bürgertreff in der benachbarten Eschenpassage zu sehen, montags bis donnerstags von 10 bis 17 Uhr, freitags 10 bis 15 Uhr.

© SZ vom 20.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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