Muslimische Flüchtlinge:Fastenbrechen in der Fremde

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In den Unterkünften im Landkreis hat man sich auf die Ramadan-Zeit eingestellt. Muslimische Flüchtlinge bekommen ihr Essen erst nach Sonnenuntergang geliefert. Als einzige Moschee im Hachinger Tal ist die 240 Mitglieder zählende Taufkirchner Gemeinde erste Anlaufstelle für die Asylbewerber

Von Johanna Mayerhofer

Kein Essen, kein Trinken vor Sonnenuntergang. So ist das im Ramadan. Bis vor kurzem war im Landkreis München die Frage, wie Muslime ihr religiöses Leben ausgestalten, eher Privatsache. Doch mit den vielen Flüchtlingen haben sich die Verhältnisse geändert. In Haar war man sich sicher, an alles gedacht zu haben. Die 66 jungen Männer, vorrangig aus Afrika, die dort in einer Turnhalle leben, bekamen vom Caterer ihr Essen erst am Abend geliefert. Doch dann stellte sich heraus, dass die meisten von ihnen Christen sind. Es wurde nachjustiert. Keiner, der nicht will, muss mehr hungern.

In den Unterkünften im Landkreis hat man sich auf die Ramadan-Zeit eingestellt. In Unterschleißheim sind derzeit rund 170 Asylbewerber untergebracht. Im Wohnheim leben etwa 70 Flüchtlinge, in der Notunterkunft wurden im Juni etwa 100 Menschen aufgenommen. "Davon sind etwa 70 bis 80 Prozent Muslime", sagt Jutta Hohensee vom Asylhelferkreis Unterschleißheim. Während sich im Wohnheim die Asylbewerber wie auch in Unterhaching selbst versorgen, wird in der Notunterkunft mit einem Caterer zusammengearbeitet. Der beliefert die Unterkunft in der Fastenzeit mit einem warmen Abendessen. Zuvor wurde zur Mittagszeit warmes Essen angeboten. "Die Muslime hätten sich auch arrangiert, aber das hat einfach hygienische Gründe", berichtet Hohensee. Bis zum Fastenbrechen am Abend könne das Essen nicht warm gehalten werden. Für den Rest des Tages werden die Flüchtlinge mit Essenspaketen versorgt. Auch in allen anderen Sammelunterkünften im Landkreis, die über keine eigene Küche verfügen, wird mit zwei Catering-Firmen zusammengearbeitet. Diese wurden gebeten, sich dem veränderten Essensrhythmus der muslimischen Asylbewerber anzupassen, bestätigt Landratsamts-Sprecherin Christine Spiegel.

Auf der ganzen Welt begehen gläubige Muslime den Ramadan. Bis Freitag noch wird erst am Abend gegessen und getrunken. (Foto: AFP/JUNI KRISWANTO)

Eine Lautsprecherstimme kündigt den ersehnten Moment an. Die Stimme des Imam hallt durch den erleuchteten Raum. Es ist 21.25 Uhr, durch die Fenster verrät die langsam einkehrende Dunkelheit das Tagesende - und den Anfang eines großen Gastmahls. An einer gedeckten Tafel sitzen etwa 30 Frauen aus Somalia, Syrien, Sierra Leone und der Türkei und lauschen bedächtig dem Singsang. In diesen Tagen verbindet sie alle eines: Seit dem 18. Juni verzichten sie bis zum Sonnenuntergang auf Essen und Trinken. Die türkisch-islamische Gemeinde in Taufkirchen hat an diesem Abend eine Gruppe Asylbewerber aus der Unterkunft in Unterhaching in ihre Gemeinderäume eingeladen. Gemeinsam beten, gemeinsam essen - unabhängig von Nationalitäten finden die Anwesenden im Fastenbrechen ein religiöses Miteinander.

Die Stimme aus dem Lautsprecher ebbt ab. Nach "Guten Appetit"-Rufen und ermunterndem Lächeln der Gastgeberinnen greifen die Gäste zu Tellern mit Datteln. "Traditionell brechen wir das Fasten jeden Abend mit einer Dattel oder einer kleinen Menge Salz", sagt Melike Kapicibasi, zweite Vorsitzende der Taufkirchner Gemeinde. Bedächtig nehmen die Frauen gemeinsam den ersten Bissen und den ersten Schluck Wasser an diesem Tag. 29 Tage Enthaltsamkeit - der Monat Ramadan ist für Muslime die wichtigste Zeit im Jahr. Er gehört zu den fünf Säulen des Islams. Von Beginn der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang verzichten die Muslime auf Essen und Trinken. "In diesem Jahr für 18 Stunden", sagt Melike Kapicibasi. Nach dem Mondkalender gerichtet, verschiebt sich der Monat Ramadan zehn oder elf Tage pro Jahr nach vorn und durchschreitet langsam alle Jahreszeiten. "Jetzt haben wir die heiße Sommerzeit erwischt", sagt Kapicibasi mit einem Lächeln. Hunger verspürt die Türkin nicht. "Aber der Mund wird schon trocken gegen Abend hin." Fasten mit allen Sinnen: Für die Muslime bedeutet diese Zeit neben der körperlichen Reinigung auch eine seelische. "Man soll sich zurückziehen aus dem Alltag, innehalten und sich dem Koran widmen", so Kapicibasi. Nach dem Ramadan sollte jeder Gläubige das heilige Buch ein Mal vollständig gelesen haben. Am 17. Juli folgt der Schlussakt der Fastenzeit: Mit dem drei Tage dauernden Id al-Fitr-Fest.

Nach dem bewussten Fastenbrechen mit Datteln und Wasser verteilen die Taufkirchner Köchinnen die Speisen. Den Tag über haben die Frauen der Gemeinde das Essen vorbereitet: Auf einer Anrichte im Raum warten Gemüsesuppe, Reis, Rinderhackbällchen und türkische Tortellini. Auf der Tafel stehen Teller mit gefüllten Weinblättern, grünen Bohnen und Blätterteigtaschen mit Kürbis. Auch die Männer der Gemeinde und die drei Unterhachinger Asylbewerber werden im Raum nebenan mit den türkischen Spezialitäten versorgt. Mit Händen und Füßen machen sich beide Parteien verständlich: Die Asylbewerberinnen sprechen bislang nur ein paar Worte Deutsch oder Englisch, die Gemeindemitglieder überwiegend türkisch.

Beim Fest der Begegnung in Unterhaching vor einigen Wochen entstand die Idee der Einladung. "Wir haben gemerkt, dass die muslimischen Asylbewerber auch von religiöser Seite her gerne einen Ansprechpartner hätten", sagt Kapicibasi. Als einzige Moschee im Hachinger Tal ist die 240 Mitglieder zählende Taufkirchner Gemeinde die erste Anlaufstelle für die muslimischen Flüchtlinge in Unterhaching. Die Einladung war für die zweite Vorsitzende eine Herzensangelegenheit: "Man hat ein dummes Gefühl, wenn man selber mit seiner Familie sein kann." Die Muslimin möchte, dass die Frauen wenigstens an diesem Abend Teil einer großen Familie sind. Die sechs Asylbewerberinnen sind allein nach Deutschland gekommen. Ihre Ehemänner sind in ihren Heimatländern verstorben, inhaftiert oder verschwunden. "Ich habe noch nicht nach ihren persönlichen Geschichten gefragt, das braucht viel Vertrauen", sagt Claudia Thomas. Die Betreuerin aus dem Asylhelferkreis Unterhaching hat die Frauen und Männer auf ihrem Fußweg nach Taufkirchen begleitet. Derzeit sind 75 Asylbewerber in Unterhaching untergebracht. "Wir versuchen viel anzubieten für sie und sind froh über das Angebot der Moschee", sagt Thomas, die Deutschkurse für die Asylbewerber gibt. An diesem Abend sitzt sie unter ihren Schülerinnen und lässt sich von Melike Kapicibasi in die Ramadan-Rituale einführen.

Die muslimische Gemeinde beim Fastenbrechen: Vorsitzende Rukiye Güney (stehend, Zweite v. li.) Stellvertreterin Melike Kapicibasi (re. daneben) (Foto: Claus Schunk)

Jasmin sitzt am anderen Ende der Tafel und lächelt zufrieden. "Als ich in den Raum kam, war ich sofort glücklich." Ihre Religion sei ihr sehr wichtig. Die Somalierin mit blaugepunktetem Kopftuch freut sich über das gemeinsame Essen - und fühlt sich weniger allein. Im Februar ist die 30-Jährige ohne ihre Familie in das Unterhachinger Heim gekommen. Zuvor war sie in der Erstaufnahme in Fürstenfeldbruck. In ihrem jetzigen Quartier versorgt sie sich mit den anderen Asylbewerbern mit dem Geld, das ihnen zur Verfügung gestellt wird, selbst. In der Gemeinschaftsküche kochen die Frauen zusammen - auch zu Ramadan. Das Gebet verrichten sie jeden Abend in einem der Zimmer der Unterkunft, das sie sich jeweils zu zweit teilen, wie Jasmin erzählt. Wie lange die Somalierin noch in Unterhaching bleibt, weiß sie nicht. Nach Taufkirchen in die muslimische Gemeinde wird sie aber wieder kommen, versichert sie. Genau wie Nakia.

Nun kehrt Stille ein. Nur noch die Teller erinnern an das Essen. Die Gruppe hat sich nebenan in den Gebetsraum begeben. Geschlossen sprechen sie die Lobpreisungen für Allah in arabischer Sprache, heben die Hände und knien auf dem mit rotem Teppich ausgelegten Boden gen Mekka. Nach einem vom Imam gesprochenen Pflichtgebet folgt ein persönliches Gebet. Tief versunken richten die Gläubigen persönliche Bitten an ihren Gott. Nach Tee, Gebäck und Wassermelone verteilt Melike Kapacibasi Gastgeschenke: Schals, Gebetsteppiche und -ketten. Die haben sich die Asylbewerberinnen auf Nachfrage der Gemeinde gewünscht. Gegen 23 Uhr begeben sich Jasmin, Nakia und die anderen Frauen erneut in den Gebetsraum - und beten gemeinsam mit den Taufkirchner Muslimen das Abendgebet. Seite an Seite.

© SZ vom 11.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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