Kulturrückblick:Spielwiese für Großes

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Die Dichte an hochkarätigen kulturellen Veranstaltungen im Landkreis ist enorm - wie auch jene an herausragenden Künstlern

Von Udo Watter

Schaut man sich das Ressentiment mancher Münchner gegenüber Gebäuden an, die mehr als vier Stockwerke haben, dann könnte man auf die Idee kommen "Think Big" oder das faustisches Streben in die Höhe gehöre nicht zum Wesenszug dieser Stadt. Auf der anderen Seite gibt es hier zwei bekannte Fußballvereine, von denen der eine einen fundierten, der andere einen tragikomischen Größenwahn als Wesenszug pflegt.

Auch das aus einer Idee eines Mannes - des Direktors der Hypo-Kunsthalle Roger Diederen - entstandene Faust-Festival München avancierte letztlich zu einem groß dimensionierten Kaleidoskop von Veranstaltungen: Mehr als 600 Ausstellungen, Konzerte, Aufführungen, Lesungen und Vorträge zogen im ersten Halbjahr 2018 etwa 220 000 Besucher in der Stadt und der Region an. Eines der ambitioniertesten und geradezu epischen Ereignisse des Festivals fand freilich außerhalb der Stadtgrenzen statt: auf der Schlossanlage Schleißheim. "Faust III", ein Stationentheater, inszeniert vom Wiener Theater "Bretterhaus", zog sich inklusive zweier Pausen über mehr als sieben Stunden hin. Das vom Autor und Regisseur Peter F. Schmid geschriebene Stück, das an drei Tagen im Mai gezeigt wurde, war ein Ereignis: eine Reise durch Himmel und Hölle zur Erde, ein philosophisch-ironisches Welttheater in glanzvoller Szenerie. Überhaupt taugt der Schlosskomplex mit seinen großzügigen Parkanlagen als spektakuläre Kulisse für kulturelle Ereignisse. In diesem Jahr wurde dort erstmals ein vom Experimentalarchäologen Marcus Junkelmann konzipiertes historisches "Churbairisches Freudenfest" zelebriert, das Ende September die barocke Welt zur Zeit von Schlosserbauer Max II. Emanuel auferstehen ließ.

Spektakulär auf andere Art sind die speziell gestalteten Bühnenbilder, die bei den "Ottobrunner Konzerten" im Wolf-Ferrari-Haus regelmäßig zu sehen sind - da spielen die Künstler mal vor der Dekoration riesiger nostalgisch abgeblätterter Klaviertasten oder der schwarz-weißen Bourbon Street in New Orleans: Die Reihe feierte 2018 Zehnjähriges mit Stars wie Pepe Romero, Giora Feidman oder Martial Solal - und die Initiatoren Johannes Tonio (Gitarre) sowie Cornelius Claudio Kreusch (Piano) zeigten ebenfalls, welch großartige Musiker sie sind. "Wir durften viele wunderbare Künstler erleben", resümierte Johannes Tonio Kreusch.

Die Uraufführung von "Hildegard von Bingen" in Unterföhring. (Foto: Robert Haas)

Ja, ein besonderes Gespür für (künstlerische) Größe und das entsprechende Ambiente, der Wille, Bedeutungsvolles zu schaffen, treibt fast alle schöpferischen Menschen an - ob aktiv auf der Bühne oder als Organisatoren im Hintergrund. Der Landkreis München profitiert dabei natürlich von seiner Nähe zur Stadt, die selbst die Heimat vieler Künstler ist, aber auch in puncto Anziehungskraft auf auswärtige Künstler. Zudem ist die Finanzkraft vieler Kommunen und der Wille, Kultur zu fördern, ein Grund, warum hier Musik, Theater, Kabarett oder Ausstellungen in ungewöhnlicher Fülle und Qualität präsentiert werden.

Die meisten Schauplätze solcher Veranstaltungen sind indes nicht ganz so mondän wie Schloss Schleißheim. Abgesehen vom Kleinen Theater Haar, einem Jugendstilgebäude von 1911/12, oder dem Kallmann-Museum - das erst 1992 eröffnet wurde, aber ein klassizistischer Nachbau der Orangerie des Ismaninger Schlosses ist - hat die Mehrzahl der Kulturstätten im Landkreis einen moderneren architektonischen Charakter - mal mehr, mal weniger attraktiv. Das jüngste und teuerste Bürgerhaus steht in Unterföhring, es ist ein Hingucker mit geradezu urbaner Anmutung. Als Schauplatz von Theateruraufführungen wie "Hildegard von Bingen - die Visionärin", das mit grandiosen Video-Projektionen und Choreografien (dafür dramaturgisch weniger packend) im Januar in den Bann zog oder von modernem Tanztheater sowie dem Internationalen Jazz-Weekend war es auch 2018 wieder viele Besuche wert. Das älteste Bürgerhaus, das 1979 eröffnete Garchinger Bürgerhaus, wurde nur in der ersten Hälfte des Jahres bespielt - unter anderem präsentierte der Kabarettist Hagen Rether dort boshafte Bonmots wie "Meiner Erfahrung nach sind oft die ökonomisch Starken die sozial Schwachen". Im späten Frühjahr wurde die Sanierung des Gebäudes fortgesetzt, die sich, nach Verzögerungen, bis Mai 2019 hinziehen wird.

Auch manch andere Kulturzentren und Bürgerhäuser haben schon architektonische Nachrüstungen hinter sich oder werden bald Sanierungsmaßnahmen über sich ergehen lassen müssen. Die Dichte in der Region ist enorm. Viele sind Anfang der Achtziger bis Mitte der Neunziger entstanden, unter anderem befeuert vom Anspruch, Kultur für alle zu ermöglichen, am besten im Ort und mit Förderung der lokalen Kreativen. Prestigedenken spielte nicht selten eine Rolle. "Damals hat halt jeder Dorffürst so ein Haus hingestellt", urteilt Michael Blume, der Leiter des Taufkirchner Kultur- und Kongresszentrums.

Gerade im Münchner Südosten ballen sich von Taufkirchen über Unterhaching und Oberhaching bis Ottobrunn und Grünwald die Angebote. Die Konkurrenz ist groß, die Resonanz generell aber auch. Ob manchmal weniger mehr wäre, und quasi jede Gemeinde ein großes Bürgerhaus oder Kulturzentrum mit entsprechendem Programm braucht, ist dennoch die Frage - die sich etwa in Kirchheim stellte, als die Kulturreferentin Katharina Ruf zumindest eine dringende Notwendigkeit dafür in Zweifel zog. "Wir haben hier schon eine unglaubliche Veranstaltungs- und Aktionsdichte", sagt ganz in diesem Sinne auch Barbara Schulte-Rief, Kulturamtsleiterin in Unterföhring.

Das "Churbairisches Freudenfest" auf Schloss Schleißheim. (Foto: Sebastian Gabriel)

Besonders hochkarätig sind dabei die Klassik-Konzertreihen in Grünwald und Pullach. Überregionale Aufmerksamkeit in der bildenden Kunst genießen etwa die Ausstellungen im Kallmann-Museum, das 2018 erstmals einen Kallmann-Preis auslobte (den Yvonne Roeb erhält) oder die Biennale des Ottobrunner Kunstvereins - den ersten Preis gewann Christine von Tucher. Natürlich treibt die Kultur besonders schöne Blüten, wenn die lokalen Helden im Fokus stehen. Das tun sie besonders zu quasi historischen Anlässen: So feierte die Stadtkapelle Unterschleißheim 2018 ihr 40-Jähriges, ebenso die Sängerinnen und Sänger des Ottobrunner Chores "Ars Musica".

Ein runder Geburtstag wurde am 18. April auch im Technikum im Werkviertel gefeiert: Der Lokalteil der SZ vergab zum zehnten Mal den Tassilo-Preis für Künstler und Kulturschaffende aus der Region. Obgleich erstmals auch Kandidaten aus dem Stadtgebiet zur Auswahl standen und Anja Uhlig, Betreiberin des Sendlinger Kunstortes "Klohäuschen", einen der beiden Hauptpreise abräumte, glänzte gerade der Landkreis München besonders hell: Zum einen ging der andere Hauptpreis an die Filmgruppe "Movie Jam Studios" aus Taufkirchen - die Gymnasiasten drehen Dokumentarfilme mit schwieriger, gesellschaftlich relevanter Thematik. Zum anderen erhielten den Preis fürs Lebenswerk Hedwig Rost und Jörg Baesecke aus Pullach. Die Objekttheater-Künstler nennen sich "Kleinste Bühne der Welt". Und beweisen mit ihrer fantasievollen, durch scheinbar simple theatrale Mitteln geprägte Art, Geschichten zu erzählen, dass künstlerische Größe nicht unbedingt große Kulissen braucht.

© SZ vom 29.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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