Künstlerhaus:Platz für alle

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Elisabeth Schmuck hat in Hohenbrunn ihr Atelierhaus wieder eröffnet. Neben Kreativen beherbergt der "Lebensraum Kunst" jetzt auch Gewerbetreibende

Von Christina Hertel, Hohenbrunn

Das kennt wohl jeder: Man grübelt und grübelt, um am Ende festzustellen: Vielleicht ist es ja ganz gut, wenn alles so bleibt, wie es schon immer war. So ähnlich ging es auch Elisabeth Schmuck. Ihr Atelierhaus "Lebensraum Kunst" in Hohenbrunn öffnet nach eineinhalb Jahren Pause wieder, und es bleibt ein Ort für Künstler und Kreative. Ein bisschen was ändert sich aber doch: Es werden jetzt auch Yoga-Kurse, hawaiianische Massagen und Indoor-Golf angeboten. Außerdem sind eine Heilpraktikerin und eine Kunsttherapeutin eingezogen.

"Vielleicht wollte der Raum einfach bleiben, was er ist", sagt Schmuck. Zwölf Jahre ist es mittlerweile her, dass sie den Heustadel auf dem Hof ihrer Eltern zum Atelierhaus umgebaut hat. Künstler konnten sich dort kreativ ausleben, es gab regelmäßig Ausstellungen, Konzerte, Lesungen. Bis sich der Lebensraum Kunst im März 2015 mit einer letzen Ausstellung verabschiedete. Schmuck hatte einen Bauernhof in der Oberpfalz gekauft und wollte sich dort ein neues Leben aufbauen. Was aus dem Atelierhaus in Hohenbrunn werden sollte, war lange unklar. Dort Wohnraum für alleinerziehende Flüchtlingsmütter und ihre Kinder zu schaffen, war eine Idee von vielen, die aber alle scheiterten. Schmuck entschied sich schließlich dafür, es doch noch einmal mit dem Lebensraum Kunst zu probieren.

Viel hat sich in dem Atelierhaus nicht verändert, aber es ist jetzt multifunktionaler geworden. Im Erdgeschoss ließ Schmuck eine Wand einziehen. So ist ein großer Raum entstanden, der jetzt vom Treppenaufgang getrennt ist. Unten werden Indoor-Golf und Yogakurse angeboten, es sollen aber auch wieder Veranstaltungen stattfinden - von Lesungen bis zu Geburtstagsfeiern im kleinen Rahmen.

Eine Stahltreppe führt hinauf zu den Ateliers, über eine Galerie gelangt man zu den einzelnen Räumen. Ein bisschen Loft, ein bisschen Industrie-Stil, aber doch netter, weil durch die Holzbalken der ländliche Charme erhalten blieb. Gemütlich ist es auch hinter der Tür von Atelier 3. Auf Holzpaletten liegen große Kissen, türkis, rosa, grau. An der Wand hängt ein Bild, das eindeutig ein Kind gemalt hat. Es ist bunt, voller Sterne und Strichmännchen. Das ist das Reich von Anja Plattner, Kunsttherapeutin. Die 33-Jährige arbeitet viel mit Kindern, aber auch mit Erwachsenen. Dass während der Sitzungen schöne Bilder entstehen, ist nicht wichtig. "Ich möchte bei den Menschen die Potenziale wecken, die in ihnen stecken", sagt Plattner. Es gehe darum, Blockaden zu lösen und Zuversicht zu schaffen. "Meine Klienten können die Farben auch einfach hinklatschen und ihre Wut rauslassen." Mit Kindern, die nicht gerne malen, spielt Plattner Rollenspiele. Dafür stehen ein paar Playmobil-Männchen auf ihrem Couchtisch.

Zwei Türen weiter, Atelier 5. An der Wand hängen Fotografien von Kindern, aber nicht im Sonntagskleid und mit gezwungenem Lächeln - alle wirken frecher, ungezwungener als auf Familienfotos normalerweise. Ein Junge spitzt hinter einem Klettergerüst hervor, ein anderer drückt sich hinter einer Glastür die Nase platt. Qiong Wu hat die Aufnahmen gemacht. Vor drei Jahren, als ihr Sohn auf die Welt kam, hat sie sich auf Kinderfotografie spezialisiert. Am liebsten macht sie Aufnahmen von Heranwachsenden, wenn sie eigentlich gerade mit etwas ganz anderem beschäftigt sind und die Kamera gar nicht beachten. Ein eigenes Atelier hatte Wu bislang nicht. Hier will sie von nun an auch Babys fotografieren.

Die Kamera spielt auch einen Raum weiter, in Atelier 6, eine große Rolle. Hier arbeitet das Künstlerpaar Harry Flosser und Swetlana Baschmakov. Gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen lassen sie unter anderem Trickfilme entstehen. Die Hauptdarsteller sind kleine Puppen aus Draht, Klebeband und Stoff, Affe, Dackel, Frosch zum Beispiel, aber auch ein Mädchen mit langen roten Zöpfen namens Dunja. Die Figuren sind biegsam und wenn man sie in unterschiedlichen Posen fotografiert, lässt sich die Illusion von Bewegung erzeugen. Stop-Motion heißt die Filmtechnik.

Außerdem arbeitet Flosser als Grafiker. Auf dem Fußboden liegen Porträts von Winzern aus ganz Deutschland. Der Stil ist comichaft, jedes Bild soll eine kleine Geschichte über die Persönlichkeit des Dargestellten erzählen. Den einen hat Flosser als Geist aus der Flasche gemalt, den anderen als Superman. Flosser und seine Frau Swetlana Baschmakov haben in Russland Kunstpädagogik studiert und kamen Anfang der Neunziger als Spätaussiedler nach Deutschland. Eigentlich heißt er auch Baschmakov, hat sich aber den Künstlernamen Flosser zugelegt, weil er seinen richtigen Namen immer buchstabieren musste. In ihrem neuen Atelier will das Paar mehr zusammenarbeiten. Und das bietet sich an: Swetlana Baschmakov unterrichtet ebenfalls Kinder und Jugendliche. Sie malt mit ihnen in der Natur oder illustriert Gedichte und Märchen.

In ein paar Jahren, wenn ihre Tochter mit der Schule fertig ist, will sich Elisabeth Schmuck endgültig aus Hohenbrunn verabschieden. Bis dahin soll der Lebensraum Kunst immer selbstständiger werden und irgendwann auch ohne sie funktionieren. Aber jetzt, so wirkt es, ist Schmuck noch die gute Hausmutter. Zur Begrüßung umarmt sie alle ihre Mieter. Wenn sie von ihrer Arbeit erzählen, lächelt Schmuck und nickt aufmerksam, obwohl sie vieles bestimmt schon oft gehört hat. Dass sie sozusagen im Hintergrund alles zusammenhält, war schon immer so. Schmuck war nie selbst als Künstlerin aktiv. Der Grund, dass sie ein Haus für Kreative schuf, war ein anderer: "Ich finde, die Menschen sollten weniger Maskeraden tragen. Und Kunst ist ein gutes Medium dafür."

Wen interessiert, was sonst noch in dem Atelierhaus Lebensraum Kunst an der Dorfstraße 8b in Hohenbrunn los ist, kann zum Tag der offenen Tür am Sonntag, 24. Juli, kommen. Die Ateliers sind von 15 bis 18 Uhr geöffnet.

© SZ vom 21.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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