Kreis und Quer:Erster sein ist das Letzte

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Der Landkreis führt so ziemlich alle Ranglisten an, nur bei Solar-Radwegen musste man einer Ortschaft bei Köln den Vortritt lassen. Das sollte unbedingt eine Ausnahme bleiben

Kolumne von Lars Brunckhorst

Wer Kinder hat, kennt das: Kann ich zuerst anfangen? Krieg ich zuerst ein Eis? Darf ich das zuerst haben? Erster sein oder wenigstens zuerst an der Reihe sein ist für Kinder im Alter von zwei bis zehn das Wichtigste. Für alle, die im Landkreis wohnen, bleibt das sogar ein Leben lang so. Kaum ein Tag, da nicht eine Studie oder ein Ranking den Menschen zwischen Aying, Grünwald und Unterschleißheim bestätigt, worin sie überall Erster sind: Erster in der Wirtschaftsleistung, Erster in der Kaufkraft, Erster im Bevölkerungszuzug, Erster in der Zukunftsfähigkeit, Erster bei den Mieten, Erster im Erstersein.

Umso schmerzlicher war diese Woche die Nachricht, dass in Erftstadt der erste Solar-Radweg Deutschlands eröffnet wurde, also ein Radweg, der nicht asphaltiert ist, sondern mit Solarpaneelen belegt, die pro Jahr zwölf Megawattstunden Strom liefern sollen. Nach unserer Meinung hätte dies in Grasbrunn geschehen sollen, ach was: müssen. Schon vor Monaten haben die Grünen im Kreistag einen Antrag gestellt, den geplanten Radweg entsprechend zu fliesen. Landrat Christoph Göbel (CSU) fand die Idee auch ganz prima. Doch seither wird geprüft, weshalb beim Spatenstich am Dienstag zu hören war, dass vorerst nur Leerrohre verbaut würden für eventuelle Stromkabel und die Solarkacheln später noch verlegt werden könnten. Damit ist besagtes Erftstadt, das irgendwo bei Köln liegt, Erster, wo just am selben Tag die erste Teststrecke von Bundesumweltministerin Svenja Schulze eröffnet wurde. Aber immerhin verkündete Unterföhrings Bürgermeister Andreas Kemmelmeyer beim Wirtschaftsempfang am Mittwoch im Bürgerhaus, was seine Gemeinde werden wolle: Erste im Landkreis mit einer Seilbahn.

Warum immer Erster sein? Warum nicht auch mal Zweiter? Die bayerische SPD wäre schon ganz froh, wenn sie bei der Landtagswahl immerhin das geworden wäre. Dagegen sieht es bei den Grünen so aus, als ob ihnen der zweite Platz schon nicht mehr genügt, sie als nächstes Erster werden wollen. In Baden-Württemberg sind sie das ja schon. Und laut Umfragen von dieser Woche vielleicht auch bald im Bund? Verwunderlich ist dieser Wunsch, unbedingt Erster zu sein, nicht. Zweiter hat irgendwie immer was von zweiter Wahl und zweiter Chance, da hört man das Makelhafte und Gescheiterte gleich heraus, und der zweite Frühling ist auch eher spöttisch gemeint.

Das ist schon fast so schlimm wie Letzter. Der Letzte macht die Tür zu, den Letzten beißen die Hunde - wer damit groß wird, lernt als Kind zwangsläufig, unter allen Umständen Erster sein zu wollen. Dabei ist Letzter zu sein manchmal gar nicht schlecht. Wer als Letzter von einer Party geht, hatte vermutlich am meisten Spaß. Wer morgens als Letzter aufsteht, kann sich an den gedeckten Frühstückstisch setzen. Und wenn die Welt untergeht, würde man es gerne als Letzter erleben. Und werden nicht die Letzten die Ersten sein? Damit sind wir nach 78 Zeilen definitiv bei der letzten.

© SZ vom 17.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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