Kreis und Quer:Surfertypen vs. Urviecher

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Die coolen Grünen lassen sich auf Händen durch die Muffathalle tragen, während die Messlatte für die CSU zeitgleich weit nach unten geht

Kolumne von Martin Mühlfenzl

Es braucht etwas Mut und auch Körperspannung. Mut vor allem für den ersten Schritt, das Stagediving: den Sprung von der Bühne in die beziehungsweise auf die Masse. Und die richtige Balance, wenn einen die Menge von unten trägt. Wer Berührungsängste hat, für den ist Crowdsurfing also eher nichts, betatschen den Surfenden, der wahlweise auf dem Bauch oder Rücken liegt, doch unzählige Hände. Ludwig Hartmann, Spitzenkandidat der Grünen bei der Landtagswahl, hat solche Berührungsängste ganz offensichtlich nicht und ließ sich am Wahlabend gemeinsam mit Parteichef Robert Habeck in der Münchner Muffathalle von der Crowd feiern und tragen. Lässiger geht's kaum.

Die Grünen haben bei der Landtagswahl nicht nur mit ihrem sensationellen Wahlergebnis, sondern auch mit ihrer Art dieses zu feiern, die Messlatte für politische Coolness weit nach oben verschoben. Für manchen unerreichbar. Man stelle sich Ministerpräsident Markus Söder, der die Messlatte für die CSU zeitgleich weit nach unten verschoben hat, am Rande der Bühne vor; mit schlotternden Knien und Schweiß auf der Stirn. Wahrscheinlich ist es nicht einmal so sehr die Angst vor dem Sprung an sich, die Söder verspüren würde - sondern eher die Sorge, dass ihn niemand auffängt.

Stagediving und Crowdsurfing - das klingt nach Rockkonzert, Wacken, Festival. Wie soll das etwa zu Kerstin Schreyer oder Ernst Weidenbusch passen, den beiden frisch wiedergewählten CSU-Landtagsabgeordneten aus dem Landkreis München? Die sind mit ihrem Dirndl und dem Janker so eng verwachsen, dass sie beim Reggae-Festival am Chiemsee schon an der Einlasskontrolle scheitern würden. Schreyer und Weidenbusch sind Alphatiere der bayerischen Politik, ausgefuchste und standhafte Urviecher. Typen wie sie haben das Land in den vergangenen Jahrzehnten so gerne allein regiert - und sind auch heute noch gewollt, sonst wären sie ja nicht wieder von der Wahlkampfbühne direkt ins Maximilianeum gesprungen. Nur werden sie halt nicht mehr von so vielen Wählern getragen.

Das mit der Coolness ist aber auch so eine Sache. Meist ist die nie von langer Dauer. Das werden auch die neuen, hippen, aufgedrehten Grünen irgendwann wieder lernen müssen. Ganz ohne aber geht es halt auch nicht. Davon kann die SPD ein Lied singen. Deren Spitzenkandidatin Natascha Kohnen hatte das Land vor der Landtagswahl mit Plakaten vollgepflastert, auf denen sie für "Anstand" und "Haltung" warb - oder für sich in Anspruch nahm, "Zukunft im Kopf, Bayern im Herzen" zu haben. Das klang so uncool und mutlos wie inhaltsleer.

Während also die Grünen im Landkreis auf der Welle des Erfolgs surfen und mit Claudia Köhler und Markus Büchler gleich doppelt im neuen Landtag vertreten sind, hat die SPD ein Tsunami hinweggespült. Der Wähler steht derzeit auf diese coolen Grünen - auch wenn sie nicht alle wie Surfer aussehen. Die richtige Balance aber haben sie gefunden.

© SZ vom 20.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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