Kreis und quer:Realos im Höhenrausch

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Anton Hofreiter sieht zwar aus wie ein Fundi, der Grünen-Realo würde aber gerne in Berlin regieren, am liebsten als Verkehrsminister. Seit Demoskopen ihn im Wahlkreis vor dem CSU-Platzhirschen sehen, könnte es tatsächlich dazu kommen

Von Martin Mühlfenzl

Ach, was waren das noch für Zeiten, als sich bei den Grünen Realos und Fundis unversöhnlich gegenüberstanden. Damals, in den Achtziger- und Neunzigerjahren, als es um die Frage ging, ob die Ökopartei Regierungsbeteiligungen in den Ländern und im Bund anstreben sollte, was etwa vom Realpolitiker Joschka Fischer angestrebt und von Radikalökologen wie Jutta Ditfurth vehement abgelehnt wurde. Bekanntermaßen setzte sich die Realo-Fraktion durch, die später zu gerne auch Ministerien besetzte. Und heute geht es bei den Grünen ja auch längst nicht mehr um die Frage, ob koaliert und regiert werden soll - sondern vielmehr mit wem.

Konfrontiert man Grüne im Landkreis etwa mit dem Namen Friedrich Merz, ist ihnen ein ausgeprägtes Maß an Unbehagen selbst hinter der Maske anzumerken. Das mag einerseits daran liegen, dass der Blackrock-Ökonom Merz bei den meisten Mitgliedern der Ökopartei grundsätzlich einen leichten Würgereflex hervorruft; andererseits daran, dass der Kreisverband München-Land seit jeher eher dem linken Parteiflügel zugerechnet wird. Auch dank Anton Hofreiter, der zwar aussieht wie ein typischer Fundi, aber zugern mitregieren würde, am liebsten als Bundesverkehrsminister.

Die Euphorie unter den Landkreis-Grünen hat ja zuletzt immer neue, ekstatische Höchststände erreicht. Etwa bei der Landtagswahl, als sie mit mehr als 20 Prozent klar zweitstärkste Kraft wurden und in Claudia Köhler und Markus Büchler gleich zwei Abgeordnete ins Maximilianeum entsandten. Oder bei der Kommunalwahl, als sie in nahezu allen Stadt- und Gemeinderäten deutlich zulegen konnten. Und zuletzt natürlich am vergangenen Montag, als eine Umfrage des Instituts Insa Hofreiter erstmals einen kleinen Vorsprung im Wahlkreis München-Land vor dem Platzhirschen Florian Hahn von der CSU bescheinigte.

Die grüne Welle zu reiten, muss unglaubliche und ungehemmte Glücksgefühle auslösen. Nur ist das mit Wellen so eine Sache. Sie können zu echten Brechern anschwellen, die keiner aufhalten kann. Sie können aber auch wieder in sich zusammenfallen - und übrig bleiben dann nur hinweggespülte Sandkörner, aber keine Prozentpunkte. Sozialdemokraten und gerade Martin Schulz können davon ein Lied singen.

Jetzt ziehen die linken Grünen fast schon trunken vor Euphorie mit einer Reala in den Bundestagswahlkampf. Annalena Baerbock soll das Kanzleramt erringen - und regieren. Nur mit wem? Diese Frage will bei den Kreis-Grünen noch keiner offen beantworten. Zu groß ist die Angst, dass sich in der Partei, die seit kurzem die Boris-Palmer-Debatte am Bein hat, womöglich noch einer einen weiteren Lapsus erlaubt. Und manchmal reicht schon ein Wort, um aus den Umfragehöhen tief herabzustürzen. Wie 2013, als der "Veggietag", den Grünen den Ruf einbrachte, eine Verbotspartei zu sein. Vom Regieren sprach danach niemand mehr.

© SZ vom 12.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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