Kreis und quer:Provinz ist reine Kopfsache

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Jenseits von München ist das Kulturangebot so bunt und vielfältig, dass sich jede Hochnäsigkeit des Städters verbietet. Zumal eins sowieso klar ist: Es zählen die inneren Werte.

Von Udo Watter

Menschen, deren geistiger Horizont nur bis zum nächsten Kirchtum reicht, bezeichnet man gerne als provinziell. Rückständig, engstirnig, bauerntölpelhaft - von solch Eigenschaften hebt sich der Großstädter ab. Aber wo beginnt die Provinz? In der Tiefe des Flachlandes? Oder bereits jenseits der Hauptstadtgrenzen? Früher außerhalb Roms (das Wort kommt vom lateinischen provincia), heute jenseits von München? Ist Garching schon Provinz? Der dortige Kulturreferent Wolfgang Windisch jedenfalls zitiert im Programmheft für die neue Spielzeit aus einem Lexikon: "Provinz - Gegend, in der in kultureller, gesellschaftlicher Hinsicht, für das Vergnügungsleben, oder ähnlichem, nur sehr wenig oder nichts geboten wird." Eine Definition, die er zurückweist: "Man widerspricht ja nur ungern, aber was wir hier in Garching an kulturellen Highlights erleben dürfen, das verdient eine andere Auslegung." Viele Stars hätten "ihre Visitenkarte hier abgegeben" und manche Produktionen fänden (dank kommunaler Subventionen) eher den Weg in kleine Orte als zu Veranstaltern in der Metropole. "Liebe Münchnerinnen und Münchner, auf geht's zu den Highlights in die Provinz", schreibt Windisch.

Man merkt, Garchings Kulturreferent unterscheidet quasi zwischen mentaler und geografischer Provinz. Ein geringeres kulturelles Niveau/Angebot als Charakteristikum von Provinzialität hat demnach hier keine Gültigkeit. Als Begriff für einen Ort abseits urbaner Schattenseiten - "unsere kleine, liebenswerte Stadt" - wie er schreibt, nimmt Windisch "Provinz" gerne in Kauf. Nun, der Vergleich mit der nahen Großstadt bestimmt nicht nur die Perspektive des Kulturreferenten in Garching - das als Universitätsstadt mit Forschungszentrum und U-Bahnhof ohnehin anti-provinzielle Phänomene par excellence beherbergt.

Inwieweit aber nun ist der Landkreis München schon oder noch nicht Provinz? Wie städtisch ist ein Ottobrunner? Ist ein Unterhachinger urbaner als ein Landshuter oder Rosenheimer? Immerhin hat er es kürzer ins Glockenbachviertel. Ist Grünwald gefühlte Stadt? Wie stolz ist ein Unterföhringer, der in einem der wichtigsten Medienstandorte Deutschlands lebt? Was den Lokalpatriotismus, die nette Schwester der Provinzialität, angeht, kann man grob unterscheiden: je weiter weg von der Stadt, desto identitätsstiftender der Geist des Ortes: Ein Ayinger ist wohl lokalpatriotischer (und dialektsicherer) als ein Neubiberger, wobei oft wichtig ist, wie lange man schon am Ort lebt. Das Kulturangebot im Raum München, als Korrektiv provinziellen Denkens, ist vielfältig, wenn auch nicht überall avantgardistisch. Experimentelles, Subkultur findet sich eher in der Großstadt. Dass München, etwa aus Berliner Sicht, Provinz ist, steht auf einem anderen Blatt. Letztlich aber ist mentale Provinz keine Frage des Wohnorts, sondern des Kopfes.

© SZ vom 23.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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