Kreis und quer:Nicht jeder kommt zum Zug

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Manch einer kommt sich nach der großen MVV-Preisreform vor wie der einzige Gast ohne Gutschein im Fastfoodlokal

Von Lars Brunckhorst

Schadenfreude, das steht spätestens seit Wilhelm Buschs Max und Moritz fest, ist eine typisch deutsche Eigenschaft. Engländern, Franzosen, Italienern, Spaniern, Portugiesen und auch Polen ist die Freude über das Missgeschick anderer dagegen so fremd, dass sie gar kein eigenes Wort dafür haben, sondern sich die deutsche Schadenfreude als Lehnwort sozusagen ausgeborgt haben. Umgekehrt gibt es im Deutschen für das gegenteilige Gefühl, also die Freude über das Glück anderer, kein Wort. "Mitfreude" hat es nicht nur nicht in den Duden geschafft, sondern auch nicht in die Umgangssprache und wird allenfalls von Yogalehrern ihren Schülern beigebogen.

Das ist auch der Grund, warum es einen eben nicht freut, sondern einfach ärgert, wenn man im Fastfoodlokal als einziger in der Schlange keine Gutscheine fürs Hackfleischbrötchen hat oder an der Kinokasse keine Freikarte und im Drogeriemarkt keine Rabattmarken. Und deshalb freut man sich auch nicht, wenn nach der großen MVV-Tarifreform Hunderttausende von nächstem Dezember an billiger S- und U-Bahn fahren, während man selbst 33 Prozent oder 230 Euro mehr im Jahr zahlen soll - für die gleiche Strecke, ohne besseren Service wie etwa einen persönlich reservierten Sitzplatz. Kann nicht sein? Doch: Ein Ottobrunner zum Beispiel, der täglich zur Arbeit nach Aubing über 18 Haltestellen einmal quer durch die Stadt fährt, zahlt für die Monatskarte fortan nur 55,20 Euro statt 79,10 Euro. Ein Heimstettener dagegen, der nur drei Haltestellen bis nach Berg am Laim hat, muss fürderhin 88,90 Euro berappen statt 66,60 Euro. Der so Gelackmeierte fragt sich zu Recht: Warum muss er die MVV-Tarifreform finanzieren?

Der Gewinn des einen ist genauso wenig zu rechtfertigen wie der Verlust des anderen. Etwas deutlich weniger in Anspruch zu nehmen, dafür aber umso mehr zu bezahlen - das widerspricht nicht nur allen marktwirtschaftlichen Prinzipien, es zeigt auch, dass das neue Tarifsystem alles andere als gerecht ist. Laut MVV sind zwar angeblich weniger als tausend Fahrgäste betroffen. Außerdem, so der Verband, hätten sie den Vorteil, dass ihre Zeitkarte künftig für die ganze Stadt gilt. Mal abgesehen davon, dass nicht jeder zwangsbeglückt werden möchte, weil er vielleicht eher selten bis gar nicht in die Oper oder die Fröttmaninger Arena fährt - die Zahl darf auch deshalb bezweifelt werden, weil viele große Gemeinden bei der Reform vom günstigen Innenraum ausgeschlossen bleiben: etwa Unterschleißheim, Garching und Ismaning. Sollte es sich aber wirklich nur um wenige Betroffene handeln, wie der MVV behauptet, dann sollte es ihm auch keinen großen Verlust bereiten, wenn er diese Ungerechtigkeit beseitigt und etwa für Kurzstrecken verbilligte Monatstickets anbietet. Beim Seniorenticket hat eine Nachbesserung ja auch funktioniert. Zum Schaden der vielen, die jetzt schon zu den Gewinnern gehören, wird das nicht sein. Sie könnten daher durchaus etwas Mitgefühl zeigen.

© SZ vom 01.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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