Kreis und quer:Liebesschnulzen ohne Happy End

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Wer in Romanen die Welt der großen Gefühle bereist, findet sich mit der Realität nur noch schwer ab. Welch ein Segen fürs Eheglück ist dagegen ein Besuch der Unterschleißheimer Stadtbibliothek

Von Michael Morosow

Dann warf die Königstochter den Frosch mit aller Kraft gegen die Wand und herab fiel ein Prinz mit wunderschönen Augen. Ist natürlich Krötenkacke. Wenn es für Frauen so einfach wäre, einen Traummann zu finden, gäbe es im ganzen Land keine Wand mehr ohne glitschige Platschstelle, dafür neben jedem Tümpel ein Büro für Partnervermittlung. Ganz abgesehen davon, dass die Geschichte vom Froschkönig und ähnlich gelagerte Kuss-und-plopp-und-Prinz-und-tralala-Märchen eigentlich Fälle für einen Gleichstellungsbeauftragten wären. Warum bitte gönnen Märchenschreiber niemals Männern den einfacheren Weg der Partnerfindung und lassen sie schleimige Fröschinnen gegen Wände werfen? Aber sei es, wie's sei, die Realität ist eh eine andere, und wenn heute Frauen in Liebesdingen in eine Traumwelt eintauchen wollen, dann greifen sie nicht zu Grimms Märchen, sondern zum Liebesroman auf dem Nachttisch.

Während also der "Schnucki" nebenan wenig liebreizend dem ersten Höhepunkt entgegenschnarcht, liest sie: "Ich werde mir alle Mühe geben, Herr Chefarzt", sagte sie leise. Er wehrte ab. "Lassen wir den Chefarzt weg, Schwester Marga. Sagen Sie einfach Doktor, wie die anderen auch." Wenige Seiten weiter nennt Marga den Chefarzt "Honey" und er sie "Mausi", im nächsten Kapitel wird es prickelnd erotisch, am Ende legt die Leserin mit feuchten Händen und glückselig den Roman zurück. So schön kann Liebe sein. Es bleibt leider nicht aus, dass sie in Momenten der höchsten Leselust ihren nebenan röchelnden Helden mit anderen, ungnädigeren Augen sieht. Ihn gegen die Wand zu werfen, zeitigt in der Regel keinen Erfolg. Also besser Licht aus.

Spot an: In der Stadtbücherei Unterschleißheim soll demnächst eine Abteilung für traurige Liebesgeschichten eingerichtet werden. Die Geschichte und die klassische Literatur bieten dazu ja eine Fülle von echten und fiktiven Liaisons, die tragisch enden, von Samson und Delilah, Romeo und Julia, Antonius und Kleopatra bis hin zu Tristan und Isolde sowie Beckstein und Söder. Darin werden die Helden am Ende gerne vergiftet, geblendet oder verraten, in jedem Fall endet die Geschichte tragisch. Aber auch neuere Depri-Werke drängen auf den Markt. In jedem Fall garantiert der Lesestoff neben feuchten Händen auch feuchte Augen. "Mausi", gesteht Chefarzt "Honey" im letzten Kapitel, "du wirst für immer meine große Liebe sein, aber ich bin verheiratet und habe zwei Kinder."

Alle Schnarcher von nebenan sollten ihren Frauen die Stadtbücherei Unterschleißheim empfehlen. Schluchzend werden diese nach dem tragischen Tod oder dem gemeinen Sinneswandel ihres unwirklichen Helden den Roman zurücklegen, ihren real existierenden röchelnden Helden mit milden Augen betrachten und zu sich sagen: Diese Kröte schluck' ich gerne.

© SZ vom 11.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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