Kreis und quer:Inspirierende Ödnis

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Die entschleunigte Sommerferienzeit kommt genau recht, um die eigene Existenz zwischen Sein und Nichts zu verorten

Von Udo Watter

Am Deininger Weiher im Schatten der Bäume liegen. Die Luft flirrt vor Hitze, die Käfer brummen, die Schnaken surren, aber das kümmert nicht. Ein Gedanke kommt daher geflogen: Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts? Öha. Wos wuist?

Nun, die stade Sommerzeit, die gerade auf den Höhepunkt der Entschleunigung zusteuert, das Sommerloch, das die schwitzenden Menschen mit einer invasiven Leere konfrontiert, bietet sich hervorragend dafür an, um sich mit dieser von Martin Heidegger formulierten Frage zu beschäftigen. Der hoch umstrittene Philosoph war zwar kein Landkreisbewohner, sondern hat seine tiefsinnigen Tautologien ("Das Seiende ist umso seiender je anwesender es ist, je bleibender es bleibt, je währender das Bleiben ist") meist von seiner Hütte hoch oben im Schwarzwald herausgeraunt. Aber passt sein Satz "Das Hineingehaltensein des Daseins in das Nichts (...) ist das Übersteigen des Seienden im Ganzen" nicht wunderbar zum Blick auf den Veranstaltungskalender zwischen Unterschleißheim und Oberhaching? Auf die leeren Straßen Ottobrunns? Die verwaiste Ost-Tribüne des Unterhachinger Sportparks? Die von der Sonne aufgerissenen Felder Aschheims? Den ausgestorbenen Campus von Garching?

Eine inspirierende Ödnis, die sich überall eingenistet hat und wie ein langes, metaphysisches Gähnen anderthalb Monate lang obwaltet. Es gibt freilich verschiedene Wege, um in das Nichts vorzudringen, Heidegger schlägt den Mut zur wesenhaften Angst vor, der mit hiesiger Mentalität besser vertraute bayerische Philosoph Gerhard Polt hingegen eine andere Methode: Die (innere) Einkehr - die im Freistaat gleichbedeutend ist mit einem Biergartenbesuch. Mit wohl kalkulierter Inanspruchnahme des Existenzverhütungsmittels "Alkohol" wird der Weg zum Nichts gebahnt. "Der Hypophysenlappen im Hinterkopf geht nur noch ganz langsam", bis eine "angenehme Blutleere" eintritt, die eine "innere Tranquillität" zeitigt, so Polt. Bis man in den fundamentalontologisch perfekten Zustand gelangt, bei dem die Frage "Kommt noch ein Gedanke daher?" mit "Nein" beantwortet wird: Der untergärig inspirierte Mensch als Platzhalter des Nichts. Solche cerebralen Entdeckungsreisen funktionieren freilich nur am Nachmittag, wenn unter Kastanien quasi epikuräische Ruhe herrscht. Am Abend ist der Grundsound massiver und selbst im veranstaltungsarmen August erklingen dort oft süffige Klänge, etwa wenn die Blaskapelle Höhenkirchen-Siegertsbrunn in ihrer Heimatgemeinde zur Biergartenmusik aufspielt. Oder wenn durch die Waldwirtschaft in Großhesselohe jazzige Klänge wehen. Weiter unten auf der Isar dominieren die Umtata-Klassiker der Blechblas-Ensembles, die auf den Flößen gen Thalkirchen gleiten. Zwar kann auch Musik das Tor zur Transzendenz sein, aber hier wäre das Nichts oft besser.

© SZ vom 26.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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